▪
Dramentheorie des Aristoteles
(384-322 v. Chr.)
▪
Überblick
▪
Das
Theater im Menschen- und Gesellschaftsbild von Aristoteles
▪
Wirkungsästhetische
Theorie: Katharsis
▪
Die
Kunstform der Tragödie
▪ Text mit Anmerkungen
Über
Tragödie und Mitleid
Gotthold Ephraim
Lessing (Brief an Nicolai, 1759)
[…] das erkenne ich für wahr, dass kein Grundsatz (…) bessere
Trauerspiele kann hervorbringen helfen, als der: Die Tragödie soll
Leidenschaften erregen […] Das meiste wird darauf ankommen: was das Trauerspiel für Leidenschaften
erregt. In seinen Personen kann es alle möglichen Leidenschaften wirken
lassen, die sich zu der Würde des Stoffes schicken. Aber werden auch
zugleich alle diese Leidenschaften in den Zuschauern rege? Wird er
freudig? Wird er verliebt? Wird er zornig? Wird er rachsüchtig? Ich frage
nicht, ob ihn der Poet so weit bringt, dass er diese Leidenschaften in der
spielenden Person billiget, sondern ob er ihn so weit bringt, dass er
diese Leidenschaften selbst fühlt, und nicht bloß fühlt, ein andrer
fühle sie? Kurz, ich finde keine einzige Leidenschaft, die das Trauerspiel in dem
Zuschauer rege macht, als das Mitleiden. Sie werden sagen: erweckt es
nicht auch Schrecken? erweckt es nicht auch Bewunderung? Schrecken und
Bewunderung sind keine Leidenschaften, nach meinem Verstande […]
Schrecken in der Tragödie ist nichts als die plötzliche Überraschung
des Mitleides […] Die Leiter aber heißt: Mitleid; und Schrecken und Bewunderung sind nichts
als die ersten Sprossen, der Anfang und das Ende des Mitleids […]. Das
Schrecken braucht der Dichter zur Ankündigung des Mitleids, und
Bewunderung gleichsam zum Ruhepunkte desselben. Der Weg zum Mitleid wird
dem Zuhörer zu lang, wenn ihn nicht gleich der erste Schreck aufmerksam
macht, und das Mitleiden nützt sich ab, wenn es sich nicht in Bewunderung
erholen kann. Wenn es also wahr ist, dass die ganze Kunst des tragischen
Dichters auf die sichere Erregung und Dauer des einzigen Mitleidens geht,
so sage ich nunmehr, die Bestimmung der Tragödie ist diese: sie soll
unsere Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern. Sie soll uns nicht bloß
lehren, gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen, sondern
sie soll uns so weit fühlbar machen, dass uns der Unglückliche zu allen
Zeiten, und unter allen Gestalten, rühren und für sich einnehmen muss. […]
Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen
Tugenden, zu allen Arten der Großmut aufgelegteste. Wer uns also
mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter, und das Trauerspiel,
das jenes tut, tut auch dieses, oder - es tut jenes, um dieses tun zu
können. Bitten Sie es dem Aristoteles ab, oder widerlegen Sie mich […]
(aus: ders., Brief an Nicolai (1759)
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Dramentheorie des Aristoteles
(384-322 v. Chr.)
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Theorie: Katharsis
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Die
Kunstform der Tragödie
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.05.2021
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