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Gesamttext (Recherche-/Leseversion
DRITTER AUFZUG
DRITTER AUFTRITT
Recha und Daja.
RECHA.
Was ist das, Daja? –
So schnell? – Was kömmt ihm an?1 Was fiel ihm auf?
Was jagt ihn?
DAJA.
Laßt nur, laßt. Ich denk', es ist
Kein schlimmes Zeichen.
RECHA.
Zeichen? und wovon?
DAJA. Daß etwas vorgeht innerhalb. Es kocht,
Und soll nicht überkochen. Laßt ihn nur.
Nun ists an Euch.
RECHA.
Was ist an mir? Du wirst,
Wie er, mir unbegreiflich.
1700
DAJA.
Bald nun könnt
Ihr ihm die Unruh all vergelten, die
Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch
Nicht allzustreng, nicht allzu rachbegierig.
RECHA. Wovon du sprichst, das magst du selber wissen.
DAJA. Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder?
RECHA. Das bin ich; ja das bin ich ...
DAJA.
Wenigstens
Gesteht, daß
Ihr Euch seiner Unruh freut;
Und seiner Unruh danket, was Ihr itzt
Von Ruh' genießt.
RECHA.
Mir völlig unbewußt!
Denn was ich höchstens dir gestehen könnte,
1710
Wär', daß es mich –
mich selbst befremdet, wie
Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen
So eine Stille plötzlich folgen können.2
Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Tun
Hat mich ...
DAJA. Gesättigt
schon?
RECHA.
Gesättigt, will
Ich nun nicht sagen; nein – bei weitem nicht –
DAJA. Den heißen Hunger nur gestillt.
RECHA.
Nun ja;
Wenn du so willst.
DAJA.
Ich eben nicht.
RECHA.
Er wird
Mir ewig wert; mir ewig werter, als
Mein Leben bleiben: wenn auch schon mein Puls
1720
Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt;
Nicht
mehr mein Herz, so oft ich an ihn denke,
Geschwinder, stärker schlägt.3
– Was schwatz' ich? Komm,
Komm, liebe Daja,
wieder an das Fenster,
Das auf die Palmen sieht.4
DAJA.
So ist er doch
Wohl noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger.
RECHA. Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn5:
Nicht ihn bloß untern Palmen.
DAJA.
Diese Kälte
Beginnt auch wohl ein neues Fieber6 nur.
RECHA. Was Kält'? Ich bin nicht kalt.
Ich sehe wahrlich
1730
Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe.7
Dieses Werk (Nathan der Weise, von
Gotthold Ephraim Lessing), das durch
Gert Egle gekennzeichnet wurde, unterliegt keinen bekannten urheberrechtlichen Beschränkungen.
Worterläuterungen/Hinweise/Kommentar
1
hier gemeint: was ist mit ihm los?
2
→Motiv der Liebe im "Nathan";
Anzeichen dafür, dass Recha nicht völlig in Liebe entflammt ist (→Die Liebe als treibende Kraft. Die Entfaltung der
Liebesthematik im "Nathan")
3
Recha beurteilt ihre Gefühlslage "vernünftig";
4
Implizite Bühnenanweisung (→
Haupt- und Nebentext);
Recha und Daja hatten schon das Gespräch Nathans mit dem Tempelherrn (II,7)
vom Fenster aus beobachtet - vgl.
II,8 V 1409
5
im Sinne "vor lauter Bäumen (Palmen) den Wald nicht mehr sehen", h:
statt nur auf den Tempelherrn zu sehen bzw. nach ihm Ausschau zu halten
6 →Motiv
der Liebe im "Nathan": Liebe als Fieber(krankheit)
7
Vernunft und Leidenschaft (Emotionen, Affekte) widersprechen sich nicht
oder müssen sich nicht widersprechen oder in einem dauernden Kampf
miteinander liegen
Textauswahl
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Gesamttext (Recherche-/Leseversion
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
05.05.2021
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