Der
▪ Klosterbruder
Bonafides tritt als Nebenfigur in ▪
Lessings
Drama ▪»Nathan der
Weise« in den Akten
▪ 1,
▪ 4 und
▪ 5 in insgesamt 5 Szenen
auf (▪
Szenenschema). Seine persönliche
Geschichte ist eng mit einer der ▪ Vorgeschichten des Dramas verbunden.
Im Gespräch mit
▪
Nathan (IV,7)
enthüllt er seine eigene ▪ (Vor-)Geschichte,
die in Teilen immer auch zu anderen Vorgeschichten des Stücks gehört. Der
▪ Klosterbruder Bonafides
war, so erzählt er selbst, ▪
18 Jahre (IV,7
V 2971) vor dem Einsetzen der dramatischen Handlung
▪
christlicher Reitknecht. (ebd.)
In dieser Zeit militärischer Auseinandersetzungen verrichtete er seinen
Dienst für kurze Zeit (ebd.,
V 3095) im Umfeld des wohl zum Christentum konvertierten
Bruders von ▪ Saladin, Assad, der nach seiner
Heirat mit einer Christin aus dem Geschlecht der von Stauffen und
vorübergehendem Aufenthalt in Europa mit seiner Frau nach Palästina
zurückkehrt. Ihren Sohn Leu (▪
Tempelher)
lassen sie dabei in der Obhut des Bruders der Mutter, bei dem
▪
Tempelherrn Conrad von Stauffen, in Europa zurück, der sich des Sohnes
seiner Schwester annimmt (V,8
V 3776) und in ebenfalls zu einem Tempelritter erzieht. In Palästina bringt
die Ehefrau Assads, der in Europa den Namen Wolf von Filnek angenommen hat,
eine Tochter zur Welt, verstirbt aber wenige Wochen nach der Geburt von
Blanda (▪ Recha)
(IV,7
V 2977).
Da sich Wolf von Filnek wegen seiner Beteiligung bei
kriegerischen Auseinandersetzungen in Gaza (IV,7
V 2979) und bei Askalon
(IV,7 V 2986) um das Neugeborene nicht selbst kümmern kann, beauftragt
er einen Reitknecht, das Kind zu seinem Freund Nathan (V,8
V 3785) zu bringen. Als er kurz danach bei Askalon umkommt, führt der
Reitknecht seinen Auftrag aus und übergibt Nathan in Darun, der bei dem
Judenpogrom in Gath gerade seine ganze Familie verloren hat, das Kind und
erfüllt damit das Vermächtnis seines Herrn.
Dabei behält er ein
▪ "Büchelchen"
(IV,7
V 3102), ein ▪ "Brevier"
(IV,7 V 3106) mit
Gebeten darin zurück, das er vor der Bestattung Wolfs von Filnek bei Askalon
noch aus dessen Besitz an sich nimmt. Das Brevier, in das, wie man ihm als
Analphabeten (IV,7
V 3108) gesagt habe, Wolf von Filnek selbst, und zwar in arabischer
Schrift, die Angehörigen seiner Familie bzw. der Kinder notiert habe,
übergibt er Nathan jedenfalls in Darun nicht. Ganz offenkundig weiß er
nicht, dass es sich bei seinem Herrn um Assad, den Bruder
Saladins, handelt. An das Büchlein erinnert
er sich überhaupt erst, als ihn Nathan mit Nachfragen zu den
Familienverhältnissen bedrängt. (IV,7
V 3101) (▪
Verwandtschaftsbeziehungen
der Figuren) Was zwischen dem christlichen
Reitknecht und dem Juden Nathan bei der Übergabe des Kindes besprochen oder
vereinbart worden ist, kommt auch im weiteren Verlauf des analytischen Dramas nicht zur Sprache.
Später zieht sich der Reitknecht aus der Welt zurück und lebt bis kurz vor
dem Einsetzen der dramatischen Handlung als Eremit in einer Einsiedelei
(Klause) zwischen Jericho und Jerusalem (Quarantana),
um dort ▪ "(s)einem
Gott in Einsamkeit/ Bis an (s)ein selig Ende dienen (zu) könne(n)". (IV,7
V 2942f.) Als seine Klause jedoch von "arabisch
Raubgesindel" (IV,7
V 2937) überfallen, zerstört und er selbst verschleppt wird, ist
es um das weltabgewandte Einsiedlerdasein geschehen. Er kann jedoch aus der
Gefangenschaft fliehen und sucht danach Hilfe beim Patriarchen, den er
bittet, ihm eine andere Klause anzuvertrauen.
Der
Patriarch macht ihm daraufhin
Versprechungen auf eine
Siedelei in Tabor (IV,7
V 2947), fordert aber, solange dort eine solche nicht vakant sei,
seinen Dienst als Laienbruder im Kloster. Auf diese Weise wird der
Klosterbruder, der dem Kirchenoberen natürlich Gehorsam schuldet, auch mit
diesen Versprechungen persönlich an den Patriarchen gebunden, und soll, das
spürt der Klosterbruder schnell heraus, zu ▪ "allerlei"
gebraucht werden, wovor er selbst ▪ "großen
Ekel"
(IV,7 V 2952f.) hegt.
Wie der Klosterbruder das "Dilemma der frommen Einfalt" (Sedding
1992, S.89) mit seinem gesunden Menschenverstand, seiner "Herzensreiheit"
(Woyte o. J.,
S.59) oder mit Hilfe "selbständig denkenden Nachdenklichkeit" (Kröger
1991/98, S.45) in der Praxis löst, beschreibt er Nathan, als sich die
beiden über die Ereignisse achtzehn Jahre vor der Dramengegenwart in
▪ Darun unterhalten
(IV,7)
Wenn an das Gute,
Das ich zu tun vermeine, gar zu nah
Was gar zu Schlimmes grenzt: so tu ich lieber
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
3000
So ziemlich zuverlässig kennen, aber
Bei weiten nicht das Gute. -
Dabei ist es die immer wieder stimmige Einheit von persönlichen Gefühlen,
Glaubensüberzeugungen und seiner pragmatischen Herangehensweise an Probleme,
die ihn das Richtige tun lässt. So spricht er z. B. auch davon, dass er sich
vor den ihm vom Patriarchen auferlegten Pflichten geradezu
▪
ekele.
(IV,7 V 2952f.)
Für Lessing ist der Klosterbruder, der wie "ein kreuzfahrender Schwejk in
der Kutte" (Demetz 1984,
S.176) daherkommt, wie der
▪
Derwisch
Al-Hafi eine ▪ "Episodenfigur"
im Sinne Denis
»Diderots (1713-1784). Beide haben dabei die u. a. die Aufgabe, den
überwiegenden Ernst des Stückes zu mindern und "das komische Element zu
stützen und zu kräftigen." (ebd.)
Darüber hinaus kann Lessing mit dem Klosterbruder und dem Derwisch ein Thema
zur Sprache bringen, dass ihn seit seinen frühen Komödien beschäftigt hat,
nämlich "die alte Frage von Weltflucht und Weltläufigkeit zu erörtern." (ebd.,
S.177) Und an beiden zeigt er in seinem "Nathan" auf, wie gefährlich es sein
kann, wenn man sich nach einem Leben in Weltabgeschiedenheit und
Weltabgewandheit ziemlich naiv, man könnte auch sagen, "betriebsblind" für
die Geschäfte der Welt mit den Mächtigen einlässt.
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▪
Figurengestaltung in dramatischen Texten
▪
Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren
▪
Figurenkonstellation
▪
Konfiguration
▪
Figurenkonzeption
▪
Figurencharakterisierung
▪
Literarische Charakteristik
▪
Klosterbruder-Szenen im Dramentext von Lessing
▪
Der Klosterbruder im Rahmen der
Szenenanalysen
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
04.05.2021