Die Kreuzzüge im "finsteren" Mittelalter
Lessing
hat sein Stück "Nathan
der Weise" nicht nur räumlich fern entrückt nach Jerusalem, sondern
auch in eine Zeit gelegt, die seinen Zeitgenossen meistens noch als
finsteres Mittelalter erschien. Es ist die Zeit der Kreuzzüge, der
Kreuzritter und »Kreuzfahrerstaaten
in Palästina. (»YouTube-Playlist:
Geschichte der Kreuzzüge) Die Kreuzzüge waren Kriege,
die das "christliche Abendland", aufgerufen oder unterstützt von der
katholischen Kirche, vom Ende des 11. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts
geführt hat, um die heiligen Stätten in Palästina von islamischer
Herrschaft zu befreien. Über diese religiöse bzw. religionspolitische
Anliegen hinaus ging es dabei aber auch um handfeste strategische, machtpolitische
und wirtschaftliche Interessen, für die die Kreuzritter fern der Heimat
in den Kampf gezogen sind.
1192 - ein besonderes Jahr für Jerusalem
Lessings "Nathan" spielt in der Zeit nach der
Wiedereroberung Jerusalems durch die Muslime unter Sultan »Saladin
(1137/1138 -1193) im Jahr 1187. Das die Stadt in muslimische Hände
fiel, war der Anlass für den dritten
der insgesamt sieben Kreuzzüge, der von 1189 bis 1192 dauerte.
Es
ist das Jahr 1192, als zwischen Saladin und dem englischen König Richard
Löwenherz ein Waffenstillstand geschlossen wird, das Jahr, um das herum,
die dramatische Handlung auf der Bühne in Gang kommt. Im Schutz des
Waffenstillstandes können die drei monotheistischen Religionen
(Judentum, Christentum und Islam) für eine kurze Weile in Jerusalem
nicht nur friedlich nebeneinander koexistieren. Für eine vergleichsweise
kurze Zeit können, wie Günther
Rohrmoser (1968) gezeigt hat, die Vertreter der drei großen
Religionen sogar lebendig miteinander kommunizieren. Nur religiöse Fanatiker
begehren dagegen auf..
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By Larousse (Scan from the Larousse 1922 by Nataraja-Shiva)
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Lessing will kein historisches Drama verfassen
Lessing wollte aus seinem dramatischen Gedicht kein
historisches Drama machen. Und dementsprechend kam es ihm auch nicht
darauf an, ob das, was er auf der Bühne zur Anschauung bringen wollte,
mit den historischen Fakten wirklich in Einklang zu bringen war. Auf der
anderen Seite zeigt die Tatsache, dass er sich, insbesondere zur Gestaltung
der Figur
Saladins im
"Nathan", doch auf die damals
einschlägigen zeitgenössischen Quellen von
Francois Louis Claude Marin (1721 - 1809) und
Voltaire (1694-1778) stützte. Sie waren es, die den Saladin schon
länger zugeschriebenen Mythos eines edlen Sultans fortschrieben und
ihn zu einem "Beinahe-christlichen Ritter"
Grotzfeld
(1978, S. 483f.) stilisierten.
Lessing jedenfalls war er sich der
geschichtlichen Dimension seines Stoffes bewusst war. Der "edle
Sarazene" passte ihm ideal in sein Konzept "vermischter Charaktere",
also Menschen, die auch Schwächen aufweisen und gerade deshalb zur
Identifikation einladen, das er für das Bürgerliche Trauerspiel
entwickelt hatte. (vgl. (Barner
u. a. 1987, S.321ff.) Andererseits resultieren aus der Tatsache,
"Saladin, den berühmten Krieger und Herrscher" in den Rahmen eines
(rührenden) Familiendramas zu setzen, auch spezifische theatralische
Schwierigkeiten. (vgl.
Demetz 1984,S.184)
(→Der Sultan im Familienstück - Anmerkungen zum "Privat-Saladin"
Lessings)
Der "Nathan" als Toleranzdrama
Trotz dieser dramaturgischen Überlegungen hat Lessing ein bis
heute modernes "Toleranzdrama" verfasst. Er lässt darin, wie manche
Beobachter meinen, vor allem den Islam zu Wort kommen (Kuschel
1998, vgl.
Fick 2010,
S.491). Das allein ist schon ungewöhnlich, denn bis weit ins 18.
Jahrhundert hinein galt der Islam als Feindbild und moralisch minderwertig
(Stichwörter: »Vielehe
(Polygamie), »sinnliche
Paradiesvorstellungen (72 Jungfrauen), Leugnung der
»Dreifaltigkeit (Trinität) (vgl.
Fick 2010,
S.490). So kann
Kuschel (1998) auf inhaltliche Parallelen zwischen der Ringparabel
und Aussagen des Koran über die Vielfalt der Religionen verweisen. Er
zieht dazu die 5. Sure des Koran heran, in der ein Nebeneinander der
Religionen gutgeheißen werde. Zugleich werde von "Juden und Christen
(wenn sie nun einmal nicht Muslime werden können)" verlangt, "sich
an die Tora und das Evangelium zu halten." Schließlich werde "Gott sie
im Endgericht nach ihrer Schrift beurteilen, und nicht danach, ob sie
Muslime geworden sind". (Kuschel
1998, S.320, zit. n..
Fick 2010,
S.491) Wenn der Richter in Lessing Ringparabel, die streitenden Brüder
auffordere, in praktischer Liebe die "»Echtheit«, d. i die »Wahrheit«,
ihrer Religion zu »beweisen«" (Fick
2010, ebd.), könne dazu auch eine Parallelstelle aus dem Koran (Sure
5,48) herangezogen werden. Diese lautet: "Und so Allah es wollte
wahrlich Er machte euch zu einer einzigen Gemeinde; doch will Er euch
prüfen in dem, was er euch gegeben. Wetteifert darum im Guten. Zu Allah
ist eure Heimkehr allzumal, und Er wird euch aufklären, worüber ihr
uneins seid." (zit. n.
ebd.)
Auf diese Weise finde nach Ansicht
Ficks (2010,
S.491.) die These
Kuschels (1998), Lessing lasse im "Nathan" vor allem den Islam zu
Wort kommen, in Kuschels Auslegung der Wendung »Ergebenheit in Gott«
ihren Schluss. Der Begriff stehe nämlich für Kuschel für die Anerkennung des
Islam, zumal der Begriff Islam auf Deutsch schließlich
»Ergebenheit in Gott« bedeute.
Für die ansonsten frei erfundene Handlung im "Nathan"
spielen die eigentlichen historischen Ereignisse eigentlich keine Rolle,
was Lessing aus selbst ausgedrückt hat:
"In dem Historischen was in dem Stück zu Grunde liegt, habe ich
mich über alle Chronologie hinweg gesetzt; ich habe sogar mit den
einzelnen Namen nach meinem Gefallen geschaltet. Meine Anspielungen
auf wirkliche Begebenheiten, sollen blß den Gang meines Stückes
motivieren." (in: Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. Entwurf, in: Ders.
Werke. Zweiter Band, in Zusammenabeit mit Karl Eibl u. a. hrsgg. v.
Herbert G. Göpfert. München 1971, S.744f., zit. n. Nathan der Weise,
www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
04.11.2020
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