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Historischer Hintergrund: Lessing: Nathan der Weise

Überblick

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Gotthold Ephraim Lessing   Nathan der Weise
Center-Map teachSam-YouTube-PlaylistÜberblick Gesamttext (Recherche-/Leseversion) "Friede, das ist so was von 90er" Entstehungsgeschichte [ Historischer HintergrundÜberblick ◄ ▪ Jerusalem, Heilige StadtSaladin, der edle Sarazene, und der Kreuzfahrerstaat in JerusalemYouTube-Playlist: Geschichte der KreuzzügeBausteine ] Aufbau des Dramas ▪ Handlungsverlauf ▪ Wichtige Motive ▪ Figurenkonstellation ▪ Figurenkonzeption  ▪ Einzelne Figuren  ▪ Sprachliche Form: Blankvers ▪ Rezeptionsgeschichte ▪ Textauswahl ▪ Portfolio: Nathan der Weise  ▪ Klassenarbeiten / Klausuren ▪ Links ins WWW ▪ Bausteine   Schreibformen Rhetorik  ● Operatoren im Fach Deutsch
 

Die Kreuzzüge im "finsteren" Mittelalter

Lessing hat sein Stück "Nathan der Weise" nicht nur räumlich fern entrückt nach Jerusalem, sondern auch in eine Zeit gelegt, die seinen Zeitgenossen meistens noch als finsteres Mittelalter erschien.
Es ist die Zeit der Kreuzzüge, der Kreuzritter und »Kreuzfahrerstaaten in Palästina. (»YouTube-Playlist: Geschichte der Kreuzzüge) Die Kreuzzüge waren Kriege, die das "christliche Abendland", aufgerufen oder unterstützt von der katholischen Kirche, vom Ende des 11. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts geführt hat, um die heiligen Stätten in Palästina von islamischer Herrschaft zu befreien. Über diese religiöse bzw. religionspolitische Anliegen hinaus ging es dabei aber auch um handfeste strategische, machtpolitische und wirtschaftliche Interessen, für die die Kreuzritter fern der Heimat in den Kampf gezogen sind.

1192 - ein besonderes Jahr für Jerusalem

Lessings "Nathan" spielt in der Zeit nach der Wiedereroberung Jerusalems durch die Muslime unter Sultan »Saladin (1137/1138 -1193) im Jahr 1187. Das die Stadt in muslimische Hände fiel, war der Anlass für den dritten der insgesamt sieben Kreuzzüge, der von 1189 bis 1192 dauerte.
Es ist das Jahr 1192, als zwischen Saladin und dem englischen König Richard Löwenherz ein Waffenstillstand geschlossen wird, das Jahr, um das herum, die dramatische Handlung auf der Bühne in Gang kommt.
Im Schutz des Waffenstillstandes können die drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) für eine kurze Weile in Jerusalem nicht nur friedlich nebeneinander koexistieren. Für eine vergleichsweise kurze Zeit können, wie Günther Rohrmoser (1968) gezeigt hat, die Vertreter der drei großen Religionen sogar lebendig miteinander kommunizieren. Nur religiöse Fanatiker begehren dagegen auf..

 Carte croisade
By Larousse (Scan from the Larousse 1922 by Nataraja-Shiva)
[Public domain]

Lessing will kein historisches Drama verfassen

Lessing wollte aus seinem dramatischen Gedicht kein historisches Drama machen. Und dementsprechend kam es ihm auch nicht darauf an, ob das, was er auf der Bühne zur Anschauung bringen wollte, mit den historischen Fakten wirklich in Einklang zu bringen war.
Auf der anderen Seite zeigt die Tatsache, dass er sich, insbesondere zur Gestaltung der Figur Saladins im "Nathan", doch auf die damals einschlägigen zeitgenössischen Quellen von Francois Louis Claude Marin (1721 - 1809) und Voltaire (1694-1778) stützte. Sie waren es, die den Saladin schon länger zugeschriebenen Mythos eines edlen Sultans fortschrieben und ihn zu einem "Beinahe-christlichen Ritter" Grotzfeld (1978, S. 483f.) stilisierten.

Lessing jedenfalls war er sich der geschichtlichen Dimension seines Stoffes bewusst war. Der "edle Sarazene" passte ihm ideal in sein Konzept "vermischter Charaktere", also Menschen, die auch Schwächen aufweisen und gerade deshalb zur Identifikation einladen, das er für das Bürgerliche Trauerspiel entwickelt hatte. (vgl. (Barner u. a. 1987, S.321ff.) Andererseits resultieren aus der Tatsache, "Saladin, den berühmten Krieger und Herrscher" in den Rahmen eines (rührenden) Familiendramas zu setzen, auch spezifische theatralische Schwierigkeiten. (vgl. Demetz 1984,S.184) (→Der Sultan im Familienstück - Anmerkungen zum "Privat-Saladin" Lessings)

Der "Nathan" als Toleranzdrama

Trotz dieser dramaturgischen Überlegungen hat Lessing ein bis heute modernes "Toleranzdrama" verfasst. Er lässt darin, wie manche Beobachter meinen, vor allem den Islam zu Wort kommen (Kuschel 1998, vgl. Fick 2010, S.491). Das allein ist schon ungewöhnlich, denn bis weit ins 18. Jahrhundert hinein galt der Islam als Feindbild und moralisch minderwertig (Stichwörter: »Vielehe (Polygamie), »sinnliche Paradiesvorstellungen (72 Jungfrauen), Leugnung der »Dreifaltigkeit (Trinität) (vgl. Fick 2010, S.490).
So kann Kuschel (1998) auf inhaltliche Parallelen zwischen der Ringparabel und Aussagen des Koran über die Vielfalt der Religionen verweisen. Er zieht dazu die 5. Sure des Koran heran, in der ein Nebeneinander der Religionen gutgeheißen werde. Zugleich werde von  "Juden und Christen (wenn sie nun einmal nicht Muslime werden können)" verlangt, "sich an die Tora und das Evangelium zu halten." Schließlich werde "Gott sie im Endgericht nach ihrer Schrift beurteilen, und nicht danach, ob sie Muslime geworden sind". (Kuschel 1998, S.320,  zit. n.. Fick 2010, S.491)
Wenn der Richter in Lessing Ringparabel, die streitenden Brüder auffordere, in praktischer Liebe die "»Echtheit«, d. i die »Wahrheit«, ihrer Religion zu »beweisen«" (Fick 2010, ebd.), könne dazu auch eine Parallelstelle aus dem Koran (Sure 5,48) herangezogen werden. Diese lautet: "Und so Allah es wollte wahrlich Er machte euch zu einer einzigen Gemeinde; doch will Er euch prüfen in dem, was er euch gegeben. Wetteifert darum im Guten. Zu Allah ist eure Heimkehr allzumal, und Er wird euch aufklären, worüber ihr uneins seid." (zit. n. ebd.)
Auf diese Weise finde nach Ansicht Ficks (2010, S.491.) die These Kuschels (1998), Lessing lasse im "Nathan" vor allem den Islam zu Wort kommen, in Kuschels Auslegung der Wendung »Ergebenheit in Gott« ihren Schluss. Der Begriff stehe nämlich für Kuschel für die  Anerkennung des Islam, zumal der Begriff Islam auf Deutsch schließlich »Ergebenheit in Gott« bedeute.

Für die ansonsten frei erfundene Handlung im "Nathan" spielen die eigentlichen historischen Ereignisse eigentlich keine Rolle, was Lessing aus selbst ausgedrückt hat:

"In dem Historischen was in dem Stück zu Grunde liegt, habe ich mich über alle Chronologie hinweg gesetzt; ich habe sogar mit den einzelnen Namen nach meinem Gefallen geschaltet. Meine Anspielungen auf wirkliche Begebenheiten, sollen blß den Gang meines Stückes motivieren."
(in: Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. Entwurf, in: Ders. Werke. Zweiter Band, in Zusammenabeit mit Karl Eibl u. a. hrsgg. v. Herbert G. Göpfert. München 1971, S.744f., zit. n. Nathan der Weise, www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 04.11.2020

 
    
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, welche Bedeutung historische Fakten für die dramatische Handlung des Nathan besitzen.

  2. Setzen Sie sich mit der These Kuschels auseinander, Lessing habe im Nathan vor allem den Islam zu Wort kommen lassen.
     

 
 
 

 
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