Als Lessing 1773 erstmals seine Zeitschrift "Beiträge zur Geschichte
und Literatur aus den Schätzen der Herzogischen Bibliothek zu
Wolfenbüttel" herausgab, erregte das, was er darin
veröffentlichte, zunächst noch wenig Aufsehen. Darin erschien 1774 die
erste von insgesamt von
insgesamt 6 Abhandlungen eines "Ungenannten", die Lessing wohl deshalb
Fragmente nannte, weil
er damit auf die Unabgeschlossenheit des gedanklichen Gesamtkonstruktes
verweisen wollte. Das Fragment "Von Duldung der Deisten", in dem
der von Lessing nicht preisgegebene Autor sich dagegen wandte, dass man
die Deisten und andere Gegner der Offenbarungsreligionen mundtot machen
wollte, entfachte eigentlich noch keine größere Debatte. Nach drei Bänden, die
von Lessings Zeitschrift in den Jahren 1773 und 1774
erschienen, ruhte das Zeitungsprojekt ein paar Jahre, ehe 1777 der vierte Band
bzw. Beitrag erschien. Darin veröffentlichte Lessing fünf weitere Fragmente
des Ungenannten und dazu seinen eigenen Kommentar, die er als
Gegensätze des
Herausgebers bezeichnete. Die Fragmente, die er, wohl auch um
den Zensor zu umgehen, als
Funde in der Wolfenbüttler Bibliothek ausgab, und deren Verfasser »Hermann
Samuel Reimarus (1694-1768) von
Lessing selbst nicht bekanntgegeben wurde, stießen wegen ihrer
Inhalte, aber wohl auch wegen ihrer Missachtung gängiger
Disputregeln unter den theologischen Gelehrten der Zeit, eine öffentliche Kontroverse
an, die ihresgleichen suchte. Der Fragmentenstreit, wie die mit einer
Reihe von Publikationen von Lessing und seinen Gegnern aus dem Lager des
lutheranischen Protestantismus genannt wird, ging dabei um Fragen, die
die Grundlagen der christlichen bzw. protestantischen Glaubenslehre
betrafen.
EIN MEHRERES AUS DEN PAPIEREN EINES UNGENANNTEN,
die Offenbarung betreffend
FÜNFTES FRAGMENT
Über die Auferstehungsgeschichte
§ § Die vornehmste und erste Frage, worauf das ganze neue Systema der
Apostel ankömmt, ist demnach diese: ob Jesus, nachdem er getötet worden,
wahrhaftig auferstanden sei? Da beruft sich nun Matthäus anfangs auf das
fremde Zeugnis der Wächter Pilati, welche er auf Begehren des jüdischen
Rats bei dem Grabe gestellet, und welche mit ihrem großen Schrecken
Jesum aus dem Grabe hervorbrechen gesehen, auch diese Geschichte den
Hohenpriestern und Ältesten verkündiget hätten. Die Erzählung lautet
umständlicher also: "Des anderen Tages nach der Kreuzigung Jesu, das
ist, am ersten Oster-Tage, als den funfzehnten des Monats Nisan, kamen
die Obersten der Priester und die Pharisäer, welche den hohen Rat
ausmachten, sämtlich zu dem Römischen Landpfleger Pilato, und sprachen:
Herr, wir sind eingedenk worden, daß dieser Verführer Jesus, den du
gestern hast kreuzigen lassen, gesagt hat, wie er noch lebte: er wolle
drei Tage hernach, wenn er getötet wäre, wiederum lebendig auferstehen.
Demnach bitten wir inständig, befiel doch, daß man das Grab, wohin er
gelegt ist, verwahre bis an den dritten Tag, auf daß nicht irgend seine
Jünger inzwischen des Nachts kommen, ihn aus dem Grabe heimlich
wegstehlen, und hernach zum Voke sagen: Er ist auferstanden von den
Toten. Denn auf solche Art würde der letzte Betrug ärger sein, als der
erste. Pilatus sprach darauf zu ihnen: Siehe, da habt ihr die verlangten
Hüter, gehet damit hin, und verwahret das Grab, wie ihrs am besten zu
bewerkstelligen wisset. Sie, die obersten Priester und Pharisäer, gingen
demnach alsobald hin, und verwahrten das Grab mit denen zugeordneten
Hütern, und versiegelten noch zu mehrerer Gewißheit den Stein, der vor
die Türe des Grabes gewälzet war. Am Sonntage aber frühe, den 16ten
Nisan, kamen Maria Magdalena und die andere Maria zum Tore heraus, das
Grab zu besehen; und siehe, da geschah ein groß Erdbeben; der Engel des
Herrn kam vom Himmel herab, und wälzte den Stein von der Türe des Grabes
und setzte sich darauf: seine Gestalt des Angesichts war wie der Blitz,
und sein Kleid weiß wie der Schnee. Darüber erschraken die Hüter vor
Furcht dergestalt, daß sie bebten und als tot waren. Den Weibern aber
sagte der Engel, ihr habt euch nicht zu fürchten: ich weiß, ihr suchet
Jesum den gekreuzigten: der ist aber nicht mehr hier, sondern er ist
auferstanden, wie er gesagt hat. Wie nun die Weiber die ledige Stätte im
Grabe und im Zurückeilen Jesum selbst auf dem Wege gesehen und
gesprochen hatten, und dieses den übrigen Jüngern in der Stadt
verkündigen wollten, so kamen auch etliche von den Hütern nach der
Stadt, und berichteten den Obersten der Priester alles, was geschehen
war. Die kamen also mit den Ältesten, und den übrigen Mitgliedern des
hohen Rats, darüber zusammen, erzählten ihnen der Wächter Aussage von
dem Geschehenen. Darauf ward nach Überlegung der Sache diese
Entschließung gefasset: Sie gaben den Kriegs-Knechten Pilati, die das
Grab gehütet hatten, Geld genug, daß sie sagen sollten, Jesus Jünger
wären des Nachts gekommen und hätten den Leichnam gestohlen, als sie
geschlafen. Wenn dieses ja, sagten die Priester, bei dem Landpfleger
Pilato auskommen sollte, daß ihr geschlafen, so wollten wir Juden ihn
schon befriedigen, daß euch deswegen keine Strafe widerfahren soll. Also
nahmen die Hüter das Geld, und taten, wie sie gelehret waren. Daher ist
die Rede, daß Jesus Jünger seinen Leichnam des Nachts gestohlen, bei den
Juden angekommen, und währet bis auf den heutigen Tag."
§ § So weit gehet die Erzählung Matthaei, die gewiß eine Sache von der
größten Wichtigkeit enthält. Denn, wenn das in der Tat geschehen wäre,
so würde es eine innere Überführung von der Wahrheit der Auferstehung
Jesu, sowohl bei den Juden als Heiden damaliger Zeit, haben wirken
können: und die Apostel hätten, zum Beweise ihres Zeugnisses fast nichts
anders gebraucht, als sich auf diese Stadtkündige Begebenheit
allenthalben zu berufen, oder sich wohl gar von Pilato Brief und Siegel
über die durch Hüter bis in den dritten Tag geschehene Bewahrung des
Grabes auszubitten, hienächst aber bei demselben auf eine schärfere und
peinliche Befragung der Hüter über das, was ihnen begegnet sei, äußerst
zu dringen: damit sie sich sowohl selbst von dem aufgebürdeten Betruge
retten, als auch die Wahrheit bei allen und jeden überzeuglich darlegen,
und das Hindernis, so die Verleumdung ihnen in den Weg geworfen,
wegräumen mögten. Wie ist denn nun mit der Wahrheit dieser Geschichte
zusammen zu reimen, daß außer dem Matthäus kein einziger Evangelist in
seinen Berichten, kein einziger Apostel in seinen Briefen, derselben
irgend die geringste Erwähnung tut; sondern Matthäus mit seiner so
wichtigen Erzählung, von aller andern Zeugnisse verlassen, ganz allein
bleibet? Wie kann es mit der Wahrheit dieser Geschichte bestehen, daß
sie kein einziger Apostel oder Jünger, vor Jüdischen oder Römischen
Gerichten, oder vor dem Volke in Synagogen und Häusern, zur Überführung
der Menschen, und zu ihrer eigenen Verantwortung jemals gebrauchet? Nach
Matthäi Erzählung hatten ja die obersten Priester den Bericht der Hüter,
und folglich die wunderbare Eröffnung des nunmehro ledigen Grabes Jesu,
allen Ältesten des ganzen hohen Rats mitgeteilt, und mit ihnen sich
besprochen, wie das geschehene zu unterdrücken und zu vermänteln sein
mögte. Demnach wußten und glaubten alle siebenzig Mitglieder des hohen
Rats, daß es sich in der Tat so verhielte, wie die Apostel predigten:
und es war kein anderweitiger Beweisgrund zu erdenken, der in den
Beisitzern des Synedrii mehr innere Überführung und Beschämung hätte
wirken können, als dieser, wenn sich die Apostel auf des Synedrii eigene
sorgfältige Bewachung des Grabes, und das was ihnen die Wächter selbst
von dem Geschehenen ausgesagt, und was also einem jeden sein Gewissen
zeugen würde, bezogen hätten. Wenn also Petrus, wenn Paulus, wenn
andere, über das Bekenntnis von der Auferstehung Jesu zu Rede gestellet
wurden, was hatte es weiter Zeugnis bedurft als dieses: "Es ist vor der
ganzen Stadt Jerusalem, und vor aller Welt kund und offenbar, daß der
ganze hohe Rat, mit Römischer Soldaten-Wache versehen, die Vorsicht
gebraucht hat, das Grab zu besichtigen, zu versiegeln und bis auf den
dritten Tag bewachen zu lassen. Nun hat die Wache am dritten Tage in
aller Frühe das Grab mit Schrecken verlassen. Sie hätte es aber so lange
bewachen müssen, bis der dritte Tag vorbei gewesen, und bis die
Ober-Priester und der ganze Rat wieder hinausgekommen wäre, um das Grab
abermals zu besehen, ob der Körper noch drinnen, und in seine Verwesung
gegangen sei, um alsdann die Wache zu entlassen. Der ganze Rat weiß
hergegen in seinem Gewissen, was diese Hüter ausgesagt, was ihnen
begegnet sei, wie und warum sie vor der Zeit mit Schrecken davon
gelaufen. Demnach ist ein jeder innerlich überführt, daß Jesus müsse
auferstanden sein, und daß wir nichts, als die Wahrheit, verkündigen."
Aber in der ganzen Apostel-Geschichte, bei den öfteren Verteidigungen
vor dem Rate, da sie die Auferstehung Jesu bezeugen, tun sie nicht die
geringste Erwähnung von dieser so merkwürdigen Begebenheit. Sie sprechen
etwa bloß: wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten,
was wir gesehen und gehöret haben. Wir sind seine Zeugen über diesem
Worte, und der heilige Geist. Konnte denn ihr dürres Bejahen wohl den
geringsten Eindruck machen? Wenn man die Herren des Rats nur als
vernünftige Menschen ansiehet, so konnten sie solch Vorgeben der Apostel
auf ihr Wort nicht glauben: denn es war eine ganz außerordentliche
übernatürliche Sache, daß einer vom Tode sollte auferstanden sein,
welche sich so schlechthin nicht annehmen ließe, vornehmlich da es die
Anhänger Jesu allein sagten, und sonst niemand, der es gesehn hätte,
genannt wurde: zu geschweigen, daß viele der Rats-Herren Sadducäer
waren, welche die Auferstehung der Toten an sich für unmöglich und in
der Schrift nicht gegründet hielten. Betrachtet man aber die Rats-Herren
als Richter, so mußten sie auch nach ihrem Amte dem bloßen Vorgeben der
Apostel nicht trauen, weil diese in ihrer eigenen Sache zeugeten, und
zwar zur Einführung einer neuen Religion, und zur Umstürzung der bisher
eingeführten, über welche diese Richter nach Amts-Pflicht wachen
sollten. Sie konnten und mußten den Aposteln auf ihr eigenes Zeugnis
nicht Recht geben, weil die Pharisäer, so das etwa am ersten für
glaublich erkläret hätten, sogleich von ihren Beisitzern, den Sadducäern,
für parteiische Richter wären gehalten, und dadurch eine Spaltung im
Gerichte selbst wäre erregt worden. Der heilige Geist, auf dessen
Zeugnis sich die Apostel weiter beriefen, war bloß in ihrem Munde, und
zeugete ja nicht außer den Aposteln: konnte daher auch von den Richtern
für nichts, als ein leeres Vorgeben der Apostel selbst, und für ihr
eigenes Wort angesehen werden. Warum lassen denn die Apostel solche
schlechte und eitele petitiones principii nicht lieber ganz weg, und
bedienen sich dagegen dieser so vorteilhaften Begebenheit, welche der
Richter eigenes Gewissen ihnen glaublich machte, und welche nur allein
dieselben rühren, überzeugen und beschämen konnte? Was lässet sich
hieraus anders urteilen, als: entweder die Geschichte muß nicht wahr
sein, oder die Apostel würden sie da, wo sie als der einzige kräftige
Beweis-Grund überblieb, alle anderen aber nichts verfangen konnten,
notwendig gebrauchet haben.
§ § Dieses Urteil wird noch mehr bestärket, wenn man betrachtet, wie
oft die Apostel und übrigen Jünger Jesu vor Römischen Gerichten
gestanden, und zu stehen entschlossen waren, und sich doch diese
Begebenheit weder wirklich zu Nutze gemacht, noch solches zu tun jemals
gedacht haben. Man hat ja wohl in spätern Zeiten Briefe des Pilati an
den Kaiser Tiberium getichtet, worin diese Erzählung nebst andern
enthalten ist; aber in der Tat haben sich die Apostel bei den Römern
nimmer auf des Pilati oder seiner Kriegs-Knechte Zeugnis berufen, noch
sich jemals darum bekümmert, ein solches mündlich oder schriftlich von
Pilato zu erhalten. Wäre wohl was besseres zu der Apostel Zweck, in so
fern sie auch Heiden bekehren wollten, zu erdenken gewesen, als daß sie
fürs erste nach dem Namen der Wächter geforschet hätten, um dieselben
bei allen Römern namhaft zu machen, welche man um die Wahrheit dieser
Geschichte befragen könnte. Denn wenn gleich diese Wächter von den Juden
Geld bekommen, um die Sache zu verschweigen, oder anders zu erzählen; so
würden sie doch bei ihren Landesleuten kein Hehl daraus gemacht haben,
die Wahrheit auf ernstliches Befragen zu gestehen; wo sie nicht gar von
selbst die wunderbare Geschichte bei ihren Freunden und Kameraden
ausgebreitet hätten, wie es bei solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt,
daß die Menschen diese Begebenheit, je wunderbarer sie ist, desto
weniger verschweigen können. Würden also die Apostel nicht ein
vorläufiges Gerücht bei den Römern zum Vorteil gehabt haben, das sie
allemal durch Nennung dieser Soldaten glaubwürdig machen und auf
schärfere Nachfrage bewähren könnten? Warum gedenken sie denn der Sache
bei den Heiden, denen sonst die Auferstehung der Toten gar nicht in den
Sinn wollte, nimmer? Warum sprechen sie nicht: fragt nur eure
Landsleute, den Gajus und Proculus und Lateranus und Lätus, welche
dieses Jesu Grab bewachet und dasselbe mit seiner Auferstehung zu ihrem
Erstaunen aufspringen gesehen? Ja, die Apostel würden noch ein mehreres
getan haben. Sie wären zu Pilato selbst gleich auf frischer Tat
hingegangen, und hätten sich von demselben eine förmliche schriftliche
Acte über die Bewachung des Grabes, und eine peinliche Untersuchung der
Wahrheit ausgebeten. Hätte denn gleich Pilatus von selbst nicht daran
gewollt: so hätte er dennoch, oder wenigstens die Soldaten, welche das
Grab bewachet, wider ihren Dank und Willen daran müssen, wenn sich die
Apostel vor den Römischen Gerichten darauf berufen hätten. Aber sie
gedenken der Sache so wenig vor Felix und vor Festus, als vor dem
Agrippas und Berenice, noch sonst irgend bei den Römern und Griechen:
sie lassen sich lieber mit ihrer Auferstehung auslachen und für rasend
erklären. Daher wir nicht anders schließen können, als daß die Sache
nicht geschehen sei: denn sonst müßte sie notwendig, als der einzige
Beweisgrund, der bei Heiden etwas ausrichten mögte, angeführet sein; da
gewiß alle andere Gründe bei ihnen vergeblich und lächerlich waren. Denn
aus der Vernunft lässet sich die Auferstehung nicht beweisen, und die
Schriften der Propheten galten bei den Heiden nichts: die Sache aber an
sich schiene ihnen umgereimt und fabelhaft sein.
§ § Bei denen Juden, in ihren Synagogen, oder Privat-Versammlungen,
wäre gleichfalls die triftigste Ursache gewesen, diese Stadt- und
Landkündige Bewachung des Grabes Jesu nebst dem, was darauf erfolget
war, allenthalben namhaft zu machen. Denn die müßte notwendig zu aller
Wissenschaft gekommen sein, wenn der ganze hohe Rat in Procession am
ersten Oster-Tage zu Pilato; und so von ihm, mit einer Soldaten-Wache
durch die Stadt begleitet zum Tore hinaus gegangen wäre, das Grab zu
versiegeln und zu hüten. Es hätten selbst Joseph von Arimathia und
Nicodemus, und ein ehrlicher Gamaliel, als Mitglieder des Rats, nicht
verschwiegen, was bei ihnen in dem hohen Rate erzählet, und zur
Verdrehung der Sache von der boshaften Partei beschlossen wäre; daß
demnach die ganze Judenschaft zur Annehmung dieser Erzählung und dieses
Beweises schon würde vorbereitet gewesen, wenn es die Apostel hätten
wollen auf die Bahn bringen, und in ihren Predigten oder Verantwortungen
rege machen. Sie hatten ja dazu bei den Juden noch eine besondere
dringende Ursache. Denn es ist würklich an dem, was Matthäus schreibt,
daß es eine gemeine Rede bei den Juden geworden: die Jünger Jesu wären
heimlich des Nachts gekommen und hätten den Leichnam Jesu gestohlen, und
nun gingen sie herum und sagten, er sei auferstanden. Die allgemeine
Nachrede mußten die Apostel leiden, weil selbst der hohe Rat zu
Jerusalem angesehene Männer bei allen Jüdischen Gemeinen in Judäa und
andern Ländern herumschickte, und diesen nächtlichen Diebstahl des
Körpers Jesu bekannt machte, um alle und jede vor der Betrügerei zu
warnen. Das wissen wir aus der Justini Martyris Unterredung mit dem
Juden Trypho, wie es imgleichen Eusebius in seiner Kirchen-Geschichte
und über Esaias erwähnet. Wenn es demnach in der Tat eine allgemeine
Rede geworden, was die Juden zum Nachteil der Apostel ausgebreitet:
woher kömmt es denn doch, daß des Matthäi Geschichte mit den Wächtern
nicht auch eine allgemeine Rede bei den Jüngern Jesu geworden ist? Wo
die Apostel nur hinkamen, da war der böse Ruf von ihrer Betrügerei
vorangegangen, und die Gemüter davon eingenommen: wäre es aber mit der
Auferstehung Jesu Betrug, so war ja ihre ganze Predigt eitel. Warum
retten sie ihre Ehrlichkeit denn nimmer und nirgend, wider eine solche
allgemeine und glaubliche Beschuldigung, mit der Geschichte, welche uns
Matthäus erzählet? warum nehmen sie darauf nicht vor allen andern die
beste Bewährung ihres vorgebenen Facti? Nein, sie schweigen davon
durchgängig, und es ist daher handgreiflich, daß dergleichen nimmer
wirklich vorgegangen sei, und daß es Matthäus nur zur Ablehnung der
erwähnten Beschuldigung ertichtet, die übrigen aber selbst geurteilet
haben müssen, daß sie mit solcher Verteidigung nicht fortkommen würden,
und es daher besser sei, diesen schlimmen Punkt unberührt zu lassen, als
wider eine sehr wahrscheinliche und beglaubte Nachrede eine schlechte
und sich selbst widersprechende Verantwortung vorzubringen.
§ § Ich sage nicht unbillig, die Beschuldigung sei wahrscheinlich und
glaublich, die Ablehnung Matthäi hergegen schlecht und voller
Widerspruch. Denn, wenn wir die Umstände ansehen, so reimet sich alles
mit der Beschuldigung. Er war ganz möglich, daß der Körper Jesu des
Nachts heimlich aus dem Grabe gestohlen, und anderwärts verscharret
werden konnte. Das Grab war in einem Fels, gehörte dem Joseph von
Arimathia, einem heimlichen Jünger Jesu, und der Zugang zum Grabe war in
dem Gehege seines Gartens. Eben dieser Joseph hatte sich den Leichnam
Jesu ausgebeten, und denselben aus eigener Bewegung in sein Grab gelegt,
die Maria Magdalena und andere Weiber waren dabei gewesen, und alle
Apostel wußten den Ort. Sie hatten ungehinderte Freiheit zum Grabe zu
kommen: keine Besorgnis von einer Soldaten-Wache, keine Furcht, daß sie
der Gärtner nicht zum Grabe lassen möge: die Schwierigkeit, welche sich
die Weiber bei den Evangelisten machen, ist nicht: wie sie den Gärtner
und die Wächter überreden oder nötigen wollten, ihnen die Öffnung des
Grabes zu verstatten, sondern nur der Stein vor dem Grabe: wer wälzet
uns den Stein von des Grabes Tür? Es mußten also keine Wächter da sein,
und der Gärtner mußte Befehl von seinem Herrn haben, den Jüngern Jesu
die Tür offen zu halten. Ja dieser konnte auch selbst bei Tage und bei
Nachte ins Grab gehen und mit dem Körper machen, was er wollte; oder
einem andern solches zu tun erlauben. Die Maria Magdalena sagt es uns
ganz deutlich: Sie haben meinen Herrn weggenommen, spricht sie, und wir
wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und da sie den Gärtner vor
sich zu haben meint, spricht sie zu ihm: Herr, hast du ihn weggenommen,
so sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn holen. Sie setzet
also zum voraus, daß der Körper in der verwichenen Nacht könnte von dem
Gärtner oder einigen andern weggeschleppet sein. Demnach ist es nach dem
eigenen Berichte des Evangelisten ganz wohl möglich gewesen, daß die
Jünger Jesu dessen Leichnam in der Nacht heimlich aus dem Grabe anderswo
hinbrächten. Und es konnte den Juden nicht anders, als höchst
wahrscheinlich vorkommen, daß eben diese Jünger solches wirklich getan.
Denn, würden sie sagen, wollte Gott Jesum zum Wunder aller Welt
erwecken, warum sollte er es nicht bei Tage, vor aller Welt Augen, tun?
warum sollte er die Sache so veranstalten, daß, wenn einer auch noch so
frühe zum Grabe käme, derselbe schon das Grab offen und ledig fände, und
nicht den geringsten Unterschied merkte, als wenn der Körper heimlich
aus dem Grabe weggestohlen sei? Die Zeit war auch noch lange nicht
vorbei, welche Jesu im Grabe zubringen sollte. Es war gesagt, drei Tage
und drei Nächte sollte er in der Erden liegen: nun war nur erst ein Tag
und zwo Nächte verstrichen: warum würde denn mit der Erweckung so
geeilet, und dieselbe wider die Verheißung zu einer Zeit verrichtet, da
sie niemand vermuten war, noch Zeuge davon sein konnte? Wenn die Jünger
Jesu hätten Glauben finden wollen, und als aufrichtige ehrliche Leute
mit Wahrheit umgegangen wären: so müßten sie uns die Erweckung Jesu, und
deren genaue Zeit öffentlich vorher gesagt haben: so wären wir
hinausgegangen, und hätten sie mit angesehen. Ja die Apostel hätten
Ursache gehabt, an einem bestimmten Tage und Stunde, nicht nur Pilatum
und seine Wache, sondern alle Hohe-Priester und Schriftgelehrten als
Zuschauer zum Grabe einzuladen: so hätten sie sich nachher den Verdacht
eines Betruges und die Verfolgung ersparet, und hätten ohne Predigen und
Mühe eine allgemeine Überführung geschaffet. Nun aber schweigen sie
vorher von seiner Auferstehung ganz stille, und tun, als wenn sie selbst
nicht einmal davon gewußt oder daran gedacht hätten. Was aber noch mehr
ist: in aller der Zeit von vierzig Tagen, da Jesus soll auferstanden
sein, und unter ihnen gewandelt haben, sagen sie keinem unter uns ein
Wort, daß er wieder lebe, damit wir auch zu ihnen kommen und Jesum sehen
und sprechen könnten; sondern nach vierzig Tagen, da er schon soll gen
Himmel gefahren sein, gehen sie erst aus und sprechen, er sei da und
dort gewesen. Frägt man sie, wo war er denn? wer hat ihn denn gesehen?
so ist er bei ihnen im verschlossenen Zimmer gewesen, ohne daß eine Tür
aufgegangen, ohne daß ihn jemand hat können kommen oder weggehen sehen:
so war es auf dem Felde, in Galilea am Meere, auf dem Berge. Mein! warum
nicht im Tempel? vor dem Volke? vor den Hohen-Priestern? oder doch nur
vor irgend eines jüdischen Menschen Augen? Die Wahrheit darf sich ja
nicht verstecken oder verkriechen: und zwar eine solche Wahrheit, welche
unter uns bekannt und geglaubet werden sollte. Es heißet ja, er sei
nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israel: wie
könnte er denn so neidisch gegen uns sein, sich keinem unter uns zu
zeigen? Oder sollten wir ihn nur in seiner armseligen Gestalt, und
zuletzt am Kreuze hängen und sterben sehen, um uns an ihm zu ärgern?
auferweckt aber, lebendig, und in seiner Herrlichkeit nimmer zu sehen
bekommen, damit wir ja von unserm Messias keine eigene zuverlässige
Überführung erlangten; und uns nichts übrigbliebe, als seinen wenigen
Anhängern darin zu trauen, die doch den toten Körper nächtlicher Weile
haben stehlen können, und sich so dabei aufgeführet haben, daß eine
solche Vermutung billig auf sie fallen muß, und daß alle vernünftige
Menschen, selbst der ganze Rat und alle Hohe-Priester und
Schriftgelehrten so von ihnen urteilen, und uns vor ihrem Betruge
warnen?
§ § Je unglaublicher nun die Auferstehung Jesu denen Juden sein: und
je mehr ihnen die nächtliche Entwendung des Körpers möglich,
wahrscheinlich und glaublich scheinen mußte, wenn keine Bewachung des
Grabes geschehen war: desto größere Ursache hätten die Evangelisten und
Apostel gehabt, den Verdacht eines Betruges, welcher ihnen von der
höchsten Obrigkeit selbst bei allen Juden angehänget war, durch fleißige
Vorhaltung dieser bekannten Bewachung des Grabes von sich zu entfernen.
Dieses war das einzige, womit sie ihre Wahrheit und Ehrlichkeit noch
einiger maßen hätten retten mögen: alles andere waren petitiones
principii. Da aber, außer dem einzigen Matthäus, keiner dieser
Geschichte, an keinem Orte, bei so öfterer Gelegenheit, weder in
Schriften noch Reden, weder vor Gericht, noch bei Privat-Personen, weder
zum Beweise, noch zur Verteidigung, mit einem Worte gedenket: so kann
sie unmöglich wahr, und würklich geschehen sein. Es ist ein offenbarer
Widerspruch: nur einen festen Beweisgrund haben, der sich von selbst
anbietet, denselben wissen, und so oft zu brauchen genötiget sein und
dennoch nimmer gebrauchen, sondern sich mit nichtigen behelfen. Daher
denn schon klar genug ist, daß Matthäus diese Geschichte allein aus
seinem Gehirne ersonnen hat, weil er auf die Beschuldigung etwas hat
antworten wollen, und nichts besseres erfinden können. Allein wie übel
die Erfindung geraten sei, zeiget der öftere Widerspruch, darin sich
Matthäus in der Geschichte selbst mit sich und andern Evangelisten
verwickelt.
§ § Es ist erstlich widersprechend, daß die Hohenpriester von der
Auferstehung Jesu vorher etwas wissen sollten, davon die Apostel selbst,
denen doch die Geheimnisse des Reichs Gottes offenbaret hießen, nichts
wußten. Von diesen heißet es ausdrücklich: sie wußten die Schrift noch
nicht, daß er von den Toten auferstehen müßte. Und daß dieses wahr sei,
zeiget ihr ganzes Betragen. Sie klagen, daß ihre Hoffnung von der
Erlösung Israels mit seinem Tode ganz aus sei. Sie kommen mit Specereien
zum Grabe, in Meinung, daß er, gleich andern Verstorbenen, auch tot
bleiben und in die Verwesung treten werde. Ja, als sie den Körper nicht
im Grabe finden, fällt ihnen noch nichts von seiner Auferstehung ein,
sondern sie schließen bloß daraus, er müsse weggenommen, und anderswo
hingetragen sein. Ein Teil will sogar seine Auferstehung durchaus nicht
glauben, nachdem sie ihnen schon berichtet worden. Mit einem Worte, bis
an Jesus Tod, und kurz nachher, haben seine Jünger von keiner
Auferstehung etwas gewußt, gehöret, oder daran gedacht. Wie ist es denn
möglich, daß den Hohenpriestern und Schriftgelehrten etwas davon bekannt
gewesen sein sollte? Und daß sie daher auf die Vorsicht gefallen wären,
das Grab mit einer Wache zu besetzen. 2) Ist es sehr unglaublich, daß
Hohepriester und der ganze Rat am ersten Oster-Tage öffentlich zu Pilato
gehen, und hernach mit der Römischen Wache in Procession zum Tore
hinausgehen und das Grab versiegeln sollten. Denn, anderer Umstände
nicht zu erwähnen, so lief es wider der Juden Gesetze und Gebräuche,
sich am Feste, da sie insonderheit still und rein sein mußten, mit
solchem Gewerbe abzugeben, sich unter die Heiden zu mengen, oder ein
Grab anzurühren. Waren doch die Jünger Jesu, wie es heißet, den Fest-Tag
über stille nach dem Gesetze: wie sollten denn die Hohen-Priester sich
öffentlich vor dem Volke so vergehen, und insonderheit ein Grab
berühren, da sie sonst die Gräber gegen die Fest-Tage mit weißem Kalk zu
übertünchen pflegten, damit sie auch von ferne schon mögten gesehen
werden, und ein jeder sich davor hüten könnte, daß er nicht unrein
würde. 3) Wenn wir auch die Betrachtung dessen, was den Juden nach dem
Gesetze erlaubt war, aussetzen: so konnte doch ein gesamtes
obrigkeitliches Collegium von so vielen Personen nimmer so gröblich
wider den Wohlstand handeln, daß es am hohen Fest-Tage, in Corpore,
öffentlich zu den Heiden ginge, und mit einer Soldaten-Wache in
Procession durch die Stadt zöge: da alles dieses bei dem Pilato durch
ein Paar Abgeordnete in der Stille hätte können ausgerichtet werden. 4)
Aber warum sollten sie überhaupt desfalls zu Pilato gehen, und den
Heiden noch mehr Macht über sich einräumen? Joseph, dem das Grab
gehörte, und der es in dem Umfange seines Gartens hatte, konnte sich ja
als ein Jude und Mitglied des hohen Rats nicht entlegen, daß Wächter vor
das Grab gestellet würden; ja er mußte es vielmehr gerne sehen, und sich
ausbitten, damit er offenbar aus dem Verdachte eines Betruges gezogen
würde, worin er sonst notwendig mit verwickelt werden mußte. 5) Und was
kommt denn endlich heraus? Der ganze hohe Rat, ein Collegium von
siebenzig obrigkeitlichen Männern wird in dieser Geschichte zu lauter
Schelmen gemacht, welche mit Überlegung einmütig willigen, ein Falsum zu
begehen, und zu solchem Falso auch die Römische Wache zu bereden. Das
ist an sich eine unmögliche Sache. Und wo bleibt Joseph, wo bleibt
Nikodemus hiebei? sind denn die nun auch zu Schelmen worden? Sind nun
Pharisäer und Sadducäer in diesem Collegio eins, die Auferstehung, auch
durch eine ersonnene Lüge zu verleugnen, da sonst die Apostel das
Collegium über diesen Satz so meisterlich zu teilen wissen, daß sich die
Pharisäer dessen wider die Sadducäer annehmen? Kann auch eine so dumme
Lüge von so viel verständigen Leuten erdacht werden: daß alle Römische
Soldaten auf ihrem Posten schlafen sollten, und eine Anzahl Juden bei
ihnen vorbeigehen, den großen Stein vor dem Grabe wegwälzen, und den
Körper heraustragen? Dieses alles solle incognito, ohne Gepolter, und
heimlich verrichtet werden, und kein Soldat davon aufwachen, kein
Fuß-Stapfen derer, die den Körper weggetragen, nachbleiben? 6) Wenn denn
endlich Matthäus auf solche Art den Betrug von sich auf die Obrigkeit
schiebt, und sie eines offenbaren und stadtkündigen Falsi bezüchtiget:
woher kömmt es denn, daß der Apostel Betrug eine gemeine Rede unter den
Juden geworden bis auf den heutigen Tag, von des jüdischen Synedrii
Betruge aber alle Evangelisten und Apostel jederzeit und allenthalben
schweigen? Mich dünkt, dies heiße ja wohl, widersprechende Dinge, und
etwas, das sich bald verrät, vorgeben, welches der Unwahrheit eigen ist.
§ § Lasset uns aber auch noch zuletzt sehen, wie Matthäus vor seinen
eigenen Glaubens-Genossen mit seiner Erzählung bestehet. Die übrigen
Evangelisten wissen nicht allein von keiner Wache, sondern berichten
auch solche Umstände, welche die Wache aufheben. Da gehen die Weiber
sämtlich am dritten Tage hinaus in der Absicht, daß sie ins Grab
hineingehen und den toten Körper nach jüdischer Art mit vielen Myrrhen,
Aloe und dergleichen einwickeln wollen. Nun würden sie ja wohl als
furchtsame Weiber nicht wider den Willen der Römischen Soldaten
hineinzudringen suchen: oder wenigstens sich im Hingehen den Zweifel
machen: wie kommen wir ins Grab? wie werden uns die Wächter durchlassen?
Der Stein ist versiegelt: wenn auch die Wächter wollten, so dürfen sie
uns nicht hineinlassen: es ist eine unmögliche und vergebliche Sache.
Allein darum sind sie gar nicht bekümmert, sondern nur, wer ihnen den
Stein von des Grabes Türe wälzen wolle: welches zum Grunde setzet, daß
ihnen sonst nichts hinderlich sei, daß sie sonst frei hinzukommen
können, daß keine Wache davor liege. Wollte man sagen, die guten Weiber
hätten vielleicht nicht gewußt, was am vorigen Tage geschehen wäre: so
mußten es doch gewiß nunmehro die Evangelisten Marcus, Lucas und
Johannes so gut wissen, als Matthäus. Hätten nun diese
Geschicht-Schreiber ein Grab in Gedanken gehabt, das mit einer Wache
besetzt war, so würden sie wenigstens, wenn sie die Weiber in dasselbe
hineinbringen wollten, die Anmerkung dabei gemacht haben: sie wußten
aber nicht, daß das Grab mit Hütern verwahret und der Stein versiegelt
wäre. Allein auch den Weibern selbst hätte die Sache nicht können
verborgen sein. Wir können der Weiber, nach der Evangelisten Berichte,
wenigstens sechs rechnen. Von sie vielen Weibsleuten aber wäre es ein
Wunder, daß sie das neue, was öffentlich geschehen war, noch nicht
sollten erfahren haben. Die Hohen-Priester und Pharisäer waren ja, nach
Matthäi Berichte, am ersten Oster-Tage sämtlich zu Pilato gegangen,
hatten die Wache von ihm gebeten, und er hatte sie ihnen mitgegeben.
Sollte das nicht Aufsehens in der Stadt machen, wenn der hohe Rat von
siebenzig Personen in Procession zum Landpfleger gehet, wenn derselbe
wieder herauskommt, eine Römische Wache hinter sich habend: ja wenn er
endlich zum Tore hinauswandert, das Grab besichtiget, ob der Körper noch
darin sei, und alsdenn das Grab versiegelt, und die Hüter davor stellet?
Gewiß, dergleichen öffentliches Schauspiel am ersten Feiertage würde
alle Leute, alle Jungens rege gemacht haben, hinter an zu laufen und zu
sehen, was das bedeutete: und dergleichen Begebenheit könnte auch dem
geringsten Kinde, geschweige so vielen Weibern, nicht verborgen
geblieben sein. Noch mehr! Joseph von Arimathia, ein heimlicher Jünger
Jesu, aber zugleich ein Rats-Herr, mußte ja wohl entweder mit dabei
sein, oder wenigstens davon wissen, daß man ihm Wache in seinen Garten
und vor sein Grab legte: und eben das ist von Nicodemo, weil er
gleichfalls ein Mitglied des Rats und ein Pharisäer war, zu sagen. Je
weniger er für einen Jünger Jesu bekannt sein wollte, je weniger würde
man ihn von solchem Anschlage ausgeschlossen haben, oder denselben
heimlich vor ihm treiben können. Mit diesen beiden Rats-Herren waren ja
eben diese Weiber beschäftiget gewesen, Jesu Leichnam ins Grab zu legen:
und ohne Josephs Wissen und Erlaubnis, oder Befehl an den Gärtner,
konnten sie sich nicht erdreisten, in dessen Grab zu gehen, und mit dem
Körper, der jenem anvertraut war, zu machen was sie wollten. Mit
Nicodemus aber hatten sie noch den Abend vorher die Specereien
eingekauft, womit sie den andern Morgen den Leichnam einwickeln wollten.
Wenn also die Weiber auch sonst nichts von der Wache gewußt hätten, so
müßten sie es von diesen beiden Rats-Herren erfahren haben. Die würden
ihnen auch gesagt haben, daß sie nur nicht hinausgehen mögten, es sei
umsonst, sie würden zu dem Körper nicht zugelassen werden. Weil nun kein
Mensch wissentlich etwas unmögliches unternimmt: so muß dieses, was
diese Weiber unternommen, möglich, und folglich keine Wache vor dem
Grabe gewesen sein. Es ist offenbar, daß Matthäus diesen Widerspruch
selber eingesehen hat: darum setzet er auch nicht, wie die andern
Evangelisten, daß die Weiber hinausgegangen mit Specerei, und um Jesu
Leichnam zu balsamieren, oder den Stein abzuwälzen, und ins Grab
hineinzugehen: nein, sondern nur, daß sie hingegangen das Grab zu
besehen; welches sie etwa von ferne tun, und die Hüter ihnen nicht
verwehren konnten.
§ § In allen übrigen Umständen ist zwischen Matthäo und den andern
Evangelisten ein gleicher Widerspruch. Denn nach Matthäi Bericht, als
die Weiber hinkamen, das Grab zu besehen, siehe da entstand ein groß
Erdbeben: Der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, wälzte den Stein von
der Tür, und satzte sich darauf. Die Hüter aber erschraken für Furcht,
und wurden als wären sie tot. Aber zu den Weibern sagte der Engel:
Fürchtet euch nicht etc. Diese Erzählung hängt so zusammen, daß die
Eröffnung des Grabes durch den Engel in Gegenwart und im Gesichte der
Weiber geschehen, und daß die Soldaten-Wache noch da gewesen, als sie
gekommen; welche denn auch erst nach ihnen, als sie sich von ihrem
Schrecken erholet, zum Tor der Stadt wieder hinein gehet. In der Tat
könnte es auch nicht anders gewesen sein. Denn die Weiber gingen hinaus,
da es noch finster war, und das Grab war nahe vor dem Tor. Da nun Jesus
doch den dritten Tag und den Aufgang der Sonnen im Grabe hätte erwarten
müssen, wenn es nur eingermaßen heißen sollte, daß er drei Tage im Grabe
gewesen: so konnte die Auferstehung noch nicht vorbei, und die Hüter
noch nicht weg sein; zumal da sie vor Furcht halb tot blieben und sich
von dem Schrecken noch so bald nicht wieder besinnen, noch entschließen
konnten, was dabei anzufangen sei. Allein, wie lautet nun dagegen die
Erzählung bei den andern Evangelisten? Wie die Weiber unter einander
sprechen, wer wälzet uns den Stein von des Grabes Türe, und noch
unterwegs von ferne dahin sehen, so werden sie gewahr, daß der Stein
abgewälzet sei; sie funden den Stein abgewälzet von dem Grabe, und
gingen hinein. Maria Magdalena siehet, daß der Stein von dem Grabe
hinweg war. Da ist kein Erdbeben, kein Engel, der vom Himmel fährt,
keine Abwälzung des Steins im Gesichte der Weiber, keine halb tote
Wache, sondern wie sie in einer gewissen Weite dahin sehen, so ist der
Stein schon abgewälzet, die Wächter verschwinden, und haben in dieser
Evangelisten Gedanken unmöglich Platz. Weiter sagt Maria Magdalena beim
Johanne: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und wir wissen nicht, wo
sie ihn hingelegt haben. Sie sagt zu Jesu, den sie für den Gärtner
hielt: Herr, hast du ihn weggenommen, so sage mir, wo hast du ihn
hingelegt, so will ich ihn holen. Demnach setzt sie ohne Bedenken zum
Grunde, daß viele Menschen, und insonderheit der Gärtner des Josephs von
Arimathia, in dessen Garten das Grab war, ungehindert hätten ins Grab
kommen und den Körper wegtragen können. Dieses bestehet durchaus nicht
mit einer Wache, die das Grab und den Körper hüten sollte, und die, nach
Matthäi Bericht, noch voller Schrecken und halb tot da lag. Es bestehet
auch nicht mit einem Engel, welcher vor dem Grabe soll gesessen, und zu
den ankommenden Weibern gesagt haben: fürchtet euch nicht, ihr suchet
Jesum von Nazareth, er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden.
§ § Wir erkennen nunmehr aus dem vielfältigen Widerspruche, daß die
Wächter, welche Matthäus vor das Grab gestellet, keinen Stand halten
wollen, und sich einem gesunden Verstande nicht einmal gedenken lassen.
Daher diese Hirngespenster, welche den Verdacht des Betruges von den
Jüngern Jesu abkehren sollten, denselben vielmehr bestärken. Die Wächter
verschwinden bei jedem Umstande, und es bleibt allewege möglich, und bei
aller Betrachtung der Sache höchst wahrscheinlich, daß die Jünger des
Nachts zum Grabe gekommen, den Körper gestohlen, und darnach gesagt,
Jesus sei auferstanden. Lasset uns nun sehen, ob der übrigen
Evangelisten Aussage von der Auferstehung Jesu an sich mehr einstimmig
sei. Wenn die Evangelisten nebst allen Aposteln noch im Leben wären, so
könnten sie es uns nicht verdenken, daß wir diese Untersuchung
anstellen, und nach Befinden an ihrer Aussage zweifeln. Die Sache ist
ganz außerordentlich und übernatürlich: sie können niemand außer ihrem
Mittel aufweisen, der Jesum auferstanden gesehen hätte: sie allein sind
Zeugen davon, und wenn wir es genau erwägen, so haben wir von denen, die
Jesum selbst wollen gesehen haben, heutiges Tages nur zween aufzuweisen:
die übrigen zween sind nicht bei ihm gewesen, sondern haben es nur aus
Hör-Sagen. Und die andern werden bloß in dieser Zeugen Schriften als
Zeugen aufgeführt. Dennoch sollen wir auf dieser wenigen Jünger Jesu
Zeugnis ein ganzes Lehrgebäude gründen. Ja, was das meiste ist, so haben
nach ihrem Berichte die Jünger Jesu anfangs selber nichts davon glauben
wollen, sondern einige haben noch bis auf die letzte Zeit seiner
Gegenwart auf Erden, an der Wirklichkeit seiner Auferstehung gezweifelt.
Wie Maria Magdalena mit den übrigen Weibern, den Aposteln bekräftigen,
sie hätten ein Gesicht der Engel gesehen, ja sie hätten Jesum selber
gesehen, gesprochen und angefasset, glauben sie es nicht. Es dünkten
ihnen ihre Worte, als wären es Märlein. Petrus lief hin zum Grabe, und
sahe da nichts als die leinen Tücher, aber es nahm ihn doch Wunder, wie
das zuginge. Da die beiden wandernden Jünger den übrigen Aposteln
sagten, wie Jesus mit ihnen auf dem Wege gewandelt und gesprochen hätte,
und hernach verschwunden wäre, glaubten sie ihnen auch nicht. Als Jesus
schon allen Jüngern erschienen war, wollte es doch Thomas auf ihr Wort
nicht glauben, bis er seine Hände in Jesu Nägelmal und Seite gelegt
hätte. Ja, wie ihnen Jesus erschien in Galiläa, welches, nach Johannis
Aussage, schon das drittemal war, daß Jesus sich den sämtlichen Aposteln
offenbaret, so waren noch etliche unter ihnen, die da zweifelten. Sind
nun die sämtlichen Apostel, die doch Jesus vorgängige Wunder und
Verkündigung gesehen und gehöret hatten, und ihn nun zum öftern klar und
deutlich vor Augen sahen, mit ihm redeten und aßen, ihn befühlten und
betasteten, dennoch in einer so wichtigen Begebenheit voller Unglauben
und Zweifel gewesen: wie viel weniger ist es uns heutiges Tages zu
verdenken, daß wir eine Weile ungläubig sind und zweifeln: da wir von
allen diesem mit unsern Sinnen gar keine Erfahrung bekommen, sondern
alles nach 1700 Jahren aus den Urkunden einiger wenigen Zeugen holen
müssen. Und da ist das einzige, was uns jetzt vernünftiger Weise zu tun
übrig bleibt, daß wir, in Ermangelung eigener Erfahrung, erwägen, ob die
uns überbliebene Zeugnisse übereinstimmen. Oder wollen etwa die
Evangelisten und Apostel mit ihrer Behutsamkeit so viel sagen (wie es
fast scheinet): Wir haben die Auferstehung Jesu so genau untersuchet,
als immer ein Ungläubiger und Zweifler tun kann: so könnet ihr uns
nunmehr ohne neue Untersuchung und Bedenken sicher trauen? Gewiß, dieses
wäre eine unbillige Forderung. Sie selbst wollten ihres Meisters
Verkündigung, Wunder, ja sichtliche und offenbare Erscheinung so lange
in Zweifel ziehen: und wir sollten nicht befugt sein, die Wahrheit ihrer
schriftlichen Nachrichten, worauf wir alles müssen ankommen lassen, so
ferne zu prüfen, daß wir sehen, ob ihr Zeugnis übereinstimme? Nein, wir
haben schon gar zu viele vorhergehende Beweise in Händen, damit sich ihr
neues nach Jesu Tode erfundenes Systema verraten, als daß wir ihnen in
der Haupt-Sache, worauf ihr ganzes Systema gebauet ist, nicht genau
aufmerken sollten.
§ § Das erste, was wir bei der Zusammenhaltung der vier Evangelisten
bemerken, ist, daß ihre Erzählung fast in allen und jeden Punkten der
Begebenheit, so sehr von ein ander abgehet, und immer bei dem einen
anders lautet, wie bei dem andern. Ob nun gleich dieses unmittelbar
keinen Widerspruch anzeiget, so ist es doch auch gewiß keine einstimmige
Erzählung zumal da sich die Verschiedenheit in den wichtigsten Stücken
der Begebenheit äußert. Und bin ich gewiß versichert, wenn heutiges
Tages vor Gerichte über eine Sache vier Zeugen besonders abgehöret
würden, und ihre Aussage wäre in allen Umständen so weit von einander
unterschieden, als unsrer vier Evangelisten ihre: es würde wenigstens
der Schluß herauskommen, daß auf dergleichen variierenden Zeugen Aussage
nichts zu bauen sei. Hier kommt es auf die Wahrheit der Auferstehung
Jesu an, und so fern diese aus der bloßen Aussage von Zeugen sollte
beurteilet werden, so ward in ihrem Zeugnisse eine Übereinstimmung
erfordert, wer ihn gesehen, wo und wie oft man ihn gesehen, was er
inzwischen geredet und getan, und was endlich aus ihm geworden sei. Wie
lautet nun die Aussage davon bei den vier Evangelisten? 1) Beim Johanne
gehet Maria Magdalena allein zum Grabe, beim Matthäo Maria Magdalena und
die andere Maria: beim Marco Maria Magdalena, Maria Jacobi und Salome:
beim Luca, Maria Magdalena, Johanna und Maria Jacobi, und andere mit
ihnen. 2) Mattäus sagt bloß, die Maria sei dahin gegangen, das Grab zu
besehen: Marcus, daß sie kämen und salbeten ihn: Lucas, daß sie die
Specerei getragen, welche sie bereitet hatten: Johannes sagt gar nichts,
warum Maria dahingegangen. 3) Nach Matthäi, Marci und Lucae Erzählung
wäre diese Maria nur einmal zum Grabe gekommen, und hätte sogleich einen
Engel da gesehen: aber in Johannis Geschichte kommt sie zweimal dahin:
das erste mal, ohne einen Engel gesehen zu haben, da sie wieder weglauft
und Petro sagt: sie haben den Herrn weggenommen: und das andere mal, wie
sie wiederkömmt und dann den Engel siehet. 4) Petrus und Johannes sollen
auch früh zum Grabe gelaufen sein, wie Johannes meldet: aber die übrigen
Evangelisten melden nichts davon. 5) Die Rede des Engels beim Matthäo
und Marco hält in sich: sie sollten sich nicht fürchten, Jesus sei
auferstanden, sie sollten das seinen Jüngern sagen, und daß er vor ihnen
hingehen würde in Galiläam. Im Luca aber stehet nichts davon, sondern
statt dessen: Gedenket daran, wie er euch saget, da er noch in Galiläa
war, und sprach, des Menschen Sohn muß überantwortet werden in die Hände
der Sünder, und gekreuzigt werden, und am dritten Tage auferstehen. Beim
Johanne sprechen die Engel gar nichts, als dieses zur Maria: Weib, was
weinest du? 6) Die Reden Jesu zur Maria Magdalena auf dem Weg lauten
beim Matthäo so: Seid gegrüßet: fürchtet euch nicht, gehet hin, und
verkündiget es meinen Brüdern, daß sie gehen in Galiläam, daselbst
werden sie mich sehen. Johannes hingegen erzählt, er habe zur Maria
Magdalena gesagt: Weib, warum weinest du? Maria! rühre mich nicht an,
denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater: gehe aber hin zu
meinen Brüdern, und sage ihnen, ich fahre auf zu meinem Vater und zu
eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 7) Matthäus und Johannes
erwähnen nichts von der Erscheinung Jesu den zween Jüngern auf dem Wege
nach Emaus, deren Marcus und Lucas gedenken. 8) Matthäus saget nichts
davon, daß Jesus seinen Jüngern in Jerusalem erschienen sei, sondern daß
solches einmal geschehen in Galiläa, und daß noch etliche Jünger daran
gezweifelt, ob er es wäre. Marcus und Lucas hingegen wissen nichts von
der Galiläischen Erscheinung, sondern bloß von der einen zu Jerusalem.
Johannes aber gedenket zweier Erscheinungen in Jerusalem, acht Tage nach
einander; die Galiläische aber erzählt er als dritte, mit ganz andern
Umständen. 9) Die Reden, welche Jesus an die Jünger soll gehalten haben,
sind sehr unterschieden bei den Evangelisten, welches umständlich zu
zeigen, viel zu weitläuftig wäre. Jedoch ist insonderheit zu merken, daß
Jesus beim Luca nicht saget, daß sie die bekehrten taufen sollten, wie
Matthäus und Marcus berichten, sondern nur, daß sie Buße und Vergebung
der Sünden predigen sollten. Beim Johanne aber sagt Jesus den Jüngern
gar nichts weder vom Predigen, noch vom Taufen; sondern er spricht
allein zu Petro: hast du mich lieb, so weide meine Schafe. 10) Marcus
und Lucas, die doch Jesum nicht selber gesehen haben, berichten seine
Himmelfahrt. Aber Matthäus und Johannes, als Jünger, die Jesum selber
wollen gesehen haben, schweigen von diesem wichtigen Punkte ganz und
gar. Jesus spricht bei ihnen mit seinen Jüngern; dann weiß man weiter
von ihm nicht, wo er geblieben: ihre Erzählung ist zu Ende. Johannes hat
zwar noch so vieles auf seinem Herzen, was Jesus getan habe, daß, wenn
alles sollte in Büchern beschrieben werden, dieselben Bücher in der Welt
nicht Raum haben mögten: allein mich dünkt, die paar Zeilen von seiner
Himmelfahrt hätten doch noch wohl ein Räumchen darin gefunden und statt
der ungeheuren Hyperbole verdienet.
§ § Zeugen, die bei ihrer Aussage in den wichtigsten Umständen so
sehr variieren, würden in keinen weltlichen Händeln, wenn es auch nur
bloß auf ein wenig Geld einer Person ankäme, als gültig und
rechtsbeständig erkannt werden, so daß der Richter sich auf ihre
Erzählung sicher gründen, und den Spruch darauf bauen könnte: Wie kann
man denn begehren, daß, auf die Aussage von solchen vier variierenden
Zeugen, die ganze Welt, das ganze menschliche Geschlecht zu allen
Zeiten, und aller Orten, ihre Religion, Glauben und Hoffnung zur
Seligkeit gründen soll? Allein es bleibet auch nicht einmal bei der
Verschiedenheit ihrer Erzählung: sie widersprechen sich unleugbar in
vielen Stellen, und machen den guten Auslegern, die dieses Tetrachordon
zu einer bessern Einstimmung bringen wollen, viel vergebliche Marter.
Ich will nur zehen dergleichen ganz offenbare Widersprüche anführen,
ungeachtet derselben weit mehrere sind.
§ § Der erste Widerspruch ist zwischen Marco und Luca. Nach Marci
Bericht haben Maria Magdalena, Maria Jacobi und Salome die Specerei
gekauft, als der Festtag vergangen war: das ist, den funfzehnten des
Monats Nisan, oder den ersten Oster-Tag, welcher damals auf einen
Schabbas, oder Sonnabend, eingefallen war, nach Untergang der Sonnen.
Aber beim Luca kaufen sie die Specerei und Myrrhen den Abend vor dem
Festtage, und sind den Festtag über stille, nach dem Gesetze: das ist,
sie kauften die Specerei am Rüsttage, oder Freitage, den vierzehnten
Nisan, nach Untergang der Sonnen. Dieses ist ein augenscheinlicher
Widerspruch, welchen, nebst vielen andern, die Alten schon eingesehen,
und daher die Geschichte der Auferstehung beim Marcus lieber
weggelassen. Grotius will dieses so zusammen reimen, daß er den Aoristum
ehgorehsan beim Marco gibt: jam emta habebant. Denn, spricht er, es war
nicht sonderlich daran gelegen, zu wissen, zu welcher Zeit die Weiber
Specerei gekauft, wohl aber, daß sie welche gehabt. Allein, wenn man in
den Text siehet, so ist nichts unwahrscheinlicher, als dieses. Es gehen
duo genitivi consequentiam designantes vorher, diagenomenou tou sabbatou,
als der Sabbat vorbei war. Auf solche Construction, und auf solches
Antecedens muß notwendig eine erfolgte Handlung gesetzt sein. da kauften
sie Specerei. Dann kommt der Endzweck dieser Handlung, auf daß sie kämen
und salbeten ihn. Man wird mir kein einzig Exempel irgend eines
Schreibers aufweisen können, darin bei solchem Antecedente duorum
genitivorum consequentiam denotantium, und solchem consequente finem
actionis indicante der Aoristus nicht Actum, sondern Statum bedeuten
sollte: und es ist auch nicht möglich so zu reden, wenn einer richtig
und ordentlich denkt, weil auf das Antecedens der Status ja nicht erst
folget, sondern schon vorher gewesen ist. Nun bedeuten die beiden
Genitivi diagenomenou sabbatou einen Umstand der Zeit, so
vorhergegangen: demnach bedeutet das folgende ehgorehsan einen Actum,
der nach solcher Zeit geschehen und zur Wirklichkeit gekommen ist. Ein
Aoristus stehet auch beim Luca: hyposrepsasai de hehtoimasan arohmata.
Da wird es aber Grotius selber nicht übersetzen wollen, praeparata iam
habebant, sondern praeparabant. Es ist einerlei Folge des Antecedentis
und Consequentis. Und als sie (vom Grabe) umgekehret waren, bereiteten
sie die Specerei. Ist es denn nicht eine schlechte Ausflucht, daß der
Aoristus bei dem einen Evangelisten soll Actum, bei dem andern aber
Statum bedeuten? und ist dieselbe nicht bloß ersonnen, um aus schwarz
und weiß, aus vergangen und gegenwärtig eins zu machen? Die beiden
Evangelisten haben einerlei Construction, und in derselben, wenn man sie
natürlich und auf einerlei Weise verstehet, wie es die Worte leiden,
streiten die Evangelisten mit einander, und setzen eine Handlung auf
verschiedne Zeit. Aber weil man dieses nicht gerne wissen will, so muß
lieber diese Construction bei dem einen ganz unnatürlich und ganz anders
als bei dem andern angenommen werden. War denn nichts daran gelegen, daß
Marcus auch, wie Lucas, sagte, zu welcher Zeit sie die Specerei gekauft
hatten? Allerdings: wie Lucas sagt, daß sie die Specerei am Freitag
Abend gekauft, damit sie den Sabbat über stille sein könnten nach dem
Gesetze: so will Marcus sagen, daß sie aus eben der Ursache den Sabbat
erst übergehen lassen, und nach geendigtem Sabbate die Specerei
eingekauft, damit sie das Gesetz des Sabbats nicht überträten. Da nun
dieses beider Evangelisten Absicht gewesen, warum sie den Umstand des
Einkaufens der Specerei auf eine gewisse Zeit bestimmen: so hat auch
Marcus sowohl als Lucas die Handlung des Einkaufens verstanden, und
sagen wollen, daß sie nicht am Sabbat geschehen sei: und es ist nicht
möglich, daß er den Statum verstanden habe. Denn dadurch, daß einer
Specerei hat, wenn der Sabbat vorbei ist, wird er nicht befreiet, daß er
den Einkauf nicht sollte am Sabbat selbst getan haben. Es ist also ganz
unleugbar, daß Marcus die Handlung des Einkaufens der Specerei 24
Stunden später setzet als Lucas, und daß folglich hierin ein klarer
Widerspruch sei.
§ § Der zweite Widerspruch in eben der Materie ist noch stärker. Denn
nach Johannis Berichte bringen Joseph von Arimathia und Nicodemus, als
sie Pilatum um den Leichnam gebeten, schon Myrrhen und Aloen bei hundert
Pfunden mit. Da nehmen sie denselben Freitag oder Rüst-Tag Abend den
Leichnam, und binden ihn in leinene Tücher mit der Specerei, nach der
Weise, wie die Juden pflegten zu begraben. Sie begehen also nach
Johannis Zeugnisse alles, was die Jüdische Weise bei Begrabung der Toten
mit sich brachte. Und daher ist merklich, daß eben dieser Evangelist
Johannes nichts gedenket, daß Maria Magdalena oder Salome nachher
besondere Specerei eingekauft; oder damit zum Grabe hinausgegangen; oder
irgend bei dem Hinausgehen eine Absicht gehabt, mit dem toten Körper
noch weiter eine Salbung vorzunehmen: er sagt nur schlechterdings, daß
Maria Magdalena frühe zum Grabe gekommen. Gleichwie wir nun oben bemerkt
haben, daß Matthäus diese Absicht der Weiber nicht ohne Ursache
weglässet, weil sie mit seinen Hütern, die er vor das Grab gepflanzet,
nicht bestehen konnte; sondern statt dessen bloß sagt, sie sein
hinausgegangen, das Grab zu besehen: so ist es auch nicht ohne Ursache
geschehen, daß Johannes von der Salbung, welche Maria Magdalena
vorgehabt hätte, schweigt; denn sie konnte mit dem, was Joseph und
Nicodemus schon am Freitag Abend in Beisein und mit Hülfe der Weiber
verrichtet hatten, nicht bestehen: dem toten Körper war schon alles
widerfahren, was die jüdische Weise mit sich führte. Hergegen sagen
Marcus und Lucas, daß die Weiber, nachdem sie nebst Joseph und Nicodemo
vom Grabe zurückgekehret waren, und Jesu Leichnam schon mit Leinwand
eingewickelt ins Grab geleget hatten, entweder denselben Freitag Abend,
wie Lucas berichtet, oder den folgenden Sabbat Abend, wie Marcus sagt,
die Specerei gekaufet und bereitet, und am dritten Tage mit sich
hinausgenommen, um den Körper damit nun erst zu salben. Daher gedenken
diese beiden Evangelisten auch nichts davon, daß Joseph und Nicodemus
diese Pollincturam mit der Specerei schon am Rüsttag Abend verrichtet
hatten: denn so hätten es die Weiber nicht erst nachher zu tun vornehmen
können, weil sie wohl wußten, was geschehen war. Sie waren mit dabei
gewesen, wie Joseph den Leichnam in Leinwand gewickelt und in sein Grab
gelegt: sie waren demselben nachgefolget, und hatten das Grab beschauet,
wie sein Leib geleget worden. Da nun diese Evangelisten, ein jeder sich
selbst, in acht genommen, daß sie sich in ihrer Erzählung in diesem
Stücke nicht widersprächen: so ist es hergegen desto klärer, daß einer
dem andern widerspricht. Ist es wahr, daß Joseph und Nicodemus in
Gegenwart der Weiber alles das verrichtet gehabt, was die Jüdische Weise
zu begraben mit sich brachte: so ist es falsch, daß die Weiber sich noch
hernach haben können in den Sinn kommen lassen, eben dasselbe, als ob es
nicht geschehen wäre, zu verrichten, und zu dem Ende zum Grabe zu gehen.
Und so ist umgekehrt zu schließen: ist das letztere wahr, so ist das
erste falsch. Jedoch, es ist wahrscheinlicher zu glauben, daß das
erstere wahr, und das letzte falsch sei. Denn da Joseph sich vorher
vorgenommen hatte, den Körper in sein Grab zu nehmen, da wird er auch
mit Beihülfe des Nicodemus besorgt und beschicket haben, was zum
Begraben nötig war. Die Juden waren ohne das eilfertig mit der
Bestattung der Toten, als welches an demselben Tage zu geschehen
pflegte, da einer gestorben. Es gehörte auch nicht viel Zurüstung zu
diesem Werke. Der Körper ward gewaschen, und zu solchem Waschen etwa
wohlriechend Wasser gebraucht, welches denn die Pollinctura oder Salbung
der Juden ist: von andern künstlichen Balsamieren wußten sie nichts.
Dann wurde der Körper mit langen Binden von Leinwand, und der Kopf
besonders mit dem sogenannten Schweiß-Tuche oder Schnupf-Tuche
umwickelt: die Reicheren streuten bei diesem Einwickeln wohl Specereien,
als gestoßene und mit einander vermischte Myrrhen und Aloe, mit in die
Tücher, um dem Gestanke und der Fäulnis einiger maßen zu wehren: dann
war die Sache fertig. Dieses war nun alles bei Jesu geschehen: was war
denn nachher noch für eine Salbung nötig? was für neue Specereien? und
wer hat je gehöret, daß ein toter Körper, wenn er einmal so zu seiner
Ruhe gebracht war, so verunehret worden, daß man ihn wieder ausgewickelt
und aufs neue gesalbet? Die Salbung oder das Waschen, die Pollinctura,
ging vor dem Einwickeln vorher, und war hier folglich auch geschehen,
wie es die Weise erforderte. Johannes sagt ausdrücklich: sie nahmen den
Leichnam Jesu, und wickelten ihn in Leinwand mit wohlriechenden
Specereien, wie es Weise ist bei den Juden, einen Körper zur Erden zu
bestatten. Das Wort entaphiazein, so im Grundtexte die Bestattung
andeutet, begreifet die Pollincturam, oder das Waschen oder Salben des
verstorbenen Körpers mit, und ist eine notwendige Vorbereitung zu dem
Einwickeln. Niemand wickelt einen unflätigen Körper in reine Leinwand,
und wickelt ihn hernach wieder aus mit den Specereien, um ihn alsdenn
erst zu waschen. Es ist also ein offenbarer Widerspruch in dieser
Erzählung zwischen Johanne, welcher sagt, daß die Salbung und
Einwickelung des Körpers Jesu mit der Specerei, nebst allem, was zum
Begräbnisse, nach jüdischer Weise gehöret, schon am Freitag Abend
vollbracht worden sei, und zwischen Marco und Luca, welche darin
übereinkommen, daß die Weiber erst am dritten Tage, oder am Sonntag
Morgen mit der Specerei hinausgegangen, dem Körper sein Recht zu tun;
aber auch darin einander wieder entgegen sind, daß Lucas will, sie
hätten die Specerei und Salben am Freitag Abend, als sie vom Grabe
umgekehret, bereitet, und wären darauf den Sabbat über stille gewesen;
Marcus aber, daß sie die Specerei, damit sie ihn salben wollten,
erstlich, als der Sabbat vergangen war, gekaufet.
§ § Der dritte Widerspruch ist zwischen Matthäo und den übrigen
Evangelisten. Denn nach dieser ihrer Erzählung gehet Maria Magdalena mit
den andern Weibern zum Grabe, und als sie noch in der Ferne waren, sehen
sie dahin, und werden gewahr, daß der Stein abgewälzet sei; finden also
den Stein vom Grabe abgewälzet; sehen, daß der Stein vom Grabe weg war.
Beim Matthäo aber kam Maria Magdalena und die andere Maria das Grab zu
besehen: und siehe, da fuhr ein Engel vom Himmel, trat hinzu, und wälzte
den Stein von dem Grabe, und satzte sich darauf: und seine Gestalt war
wie der Blitz. Die Hüter nun erschraken vor Furcht, und wurden, als
wären sie tot; aber zu den Weibern sprach der Engel, (als sie sich auch
darüber erschrocken bezeigten) fürchtet euch nicht, u.s.w. Dieses
geschahe demnach alles in Gegenwart der Weiber; das lässet sich durch
keine falsche Ausflucht leugnen. Maria kam hin (ehlte) und siehe (idou)
da geschah ein groß Erdbeben (egeneto) der Engel kam vom Himmel, trat
hinzu, wälzete den Stein ab, satzte sich darauf, sagte zu den Weibern.
Eine Beschreibung einer Begebenheit, die vor jemandes Auge geschiehet,
der alle Veränderungen mit ansiehet. Wäre nun dieses wahr, daß der Stein
im Gesichte der Weiber durch einen Engel abgewälzet worden, so müßte
jenes falsch sein, daß, wie die Weiber von ferne dahin gesehen, sie
schon gewahr worden, daß der Stein abgewälzet und hinweg sei. Es
erhellet aber aus dem, was oben gesagt worden, daß Matthäi Erzählung
bloß nach der Ertichtung von den Wächtern eingerichtet sei. Daher ich
den andern Widerspruch, welcher ferner hierin lieget, nicht aufs neue
erörtern will: da nämlich, laut Matthäi Bericht, Maria, als sie
hinkömmt, die Wächter noch findet, welche erst nach der Maria zur Stadt
kehren; dagegen bei den übrigen Evangelisten keine Wächter zu hören oder
zu sehen sind.
§ § Der vierte Widerspruch ist fast zwischen allen und jeden
Evangelisten, was die Erscheinung der Engel betrifft, so daß ich leicht
hieraus einen vierfachen Widerspruch machen könnte. Ich will es aber
alles der Kürze halber in Eins ziehen. Bei den Evangelisten Matthäo und
Marco sehen die Weiber nur einen Engel, und einer spricht nur mit ihnen.
Wenn in dieser Evangelisten Gedanken mehrere Engel geschwebt hätten, so
war keine Ursache, daß sie den einen aus ihrer Erzählung weg ließen: da
es ihnen nicht mehr Mühe kostete, zween Engel statt eines Engels zu
schreiben, und da zween Engel die Erscheinung noch gewisser machten,
oder wenigstens das Wunder vergrößerten. Es ist also wohl ausgemacht,
daß Matthäus und Marcus nur an einen Engel, der erschienen wäre,
gedacht. Demnach widersprechen ihnen die beiden andern Evangelisten,
Lucas und Johannes, weil sie sagen, daß den Weibern zween Engel
erschienen, und zween mit ihnen gesprochen. Ferner sahen die Weiber beim
Matthäo den einen Engel vom Himmel fahren, den Stein abwälzen, und sich
darauf setzen, und so spricht er mit ihnen vor dem Grabe, ehe sie noch
hineingehen. Bei dem Marco aber finden die Weiber keinen Engel vor dem
Grabe, sondern sie gehen hinein, und finden den Engel im Grabe zur
rechten Hand sitzen. Bei dem Luca finden die Weiber vor dem Grabe auch
keinen Engel, und wollen schon hineingehen; und da sie bekümmert sind,
wo der Leichnam Jesu mögte geblieben sein, stehen oder stellen sich
zween Engel bei ihnen (epesehsan). Bei dem Johanne aber gucket die Maria
Magdalena von außen ins Grab, und siehet zween Engel in weißen Kleidern
sitzen, einen zum Haupte und den andern zu den Füßen. Weiter bei dem
Matthäo, Marco und Luca saget der Engel, oder die Engel, zu Maria
Magdalena und den übrigen, Jesus sei auferstanden, und befehlen ihnen,
solches den Jüngern und Petro zu sagen. Bei dem Johanne aber fragen die
Engel Mariam nur: Weib, was weinest du? und indem sie ihnen antwortet,
sie wisse nicht, wo man den Leichnam Jesu hingeleget habe, siehet sie
sich um, und siehet Jesum und spricht zu ihm, in Meinung es sei der
Gärtner: Herr, hast du ihn weggenommen, so sage mir, wo hast du ihn
hingeleget? Da offenbaret sich ihr Jesus, und sie erfähret seine
Auferstehung nicht von den Engeln, sondern von Jesu selbst. Dergleichen
vielfältig widersprechende Erzählung von einer Sache kann von niemand
anders kommen, als von Leuten, die sich zwar in der Haupt-Sache beredet,
was sie sagen wollen, aber die kleineren Neben-Umstände unter sich zu
bestimmen vergessen haben; daher ein jeder nach seiner Einbildungs-Kraft
und Gutdünken dieselbe für sich dazu tichtet.
§ § Der fünfte Widerspruch ist zwischen Johanne und Luca. Lucas
berichtet, daß der Maria Magdalena und übrigen, eben da sie ins Grab
gegangen, und sich wunderten, wo Jesu Leichnam wäre, zween Engel
erschienen, welche ihnen die Auferstehung Jesu verkündiget: darauf wären
diese Weiber eilend hingegangen, und hätten solches den eilfen
verkündiget (nämlich, wie die andern Evangelisten hinzusetzen, nach dem
Befehle der Engel, daß sie es den Jüngern, und insonderheit Petro, sagen
sollte): folglich wäre Petrus geschwinde zum Grabe gelaufen, hätte
hineingesehen, und nichts, als die Tücher, da gefunden; wäre also voller
Verwunderung über das geschehene weggegangen. Hieraus ist klar, daß die
Engel der Mariae schon, ehe Petrus zum Grabe gekommen, erschienen sein,
und daß eben die Engel der Marien die Auferstehung Jesu, und diese
wiederum sie Petro verkündiget. Aber Johannes spricht, daß er selbst
nebst Petro von der Maria bloß die Botschaft bekommen, daß man den
Körper weggetragen; aber von der Auferstehung Jesu hätte sie ihnen
nichts gesagt, noch selbst etwas gewußt. Er erzählt es umständlich so:
Maria habe den Stein vom Grabe gewälzet gefunden, darauf sei sie zu
ihnen beiden gelaufen, sagend, man hätte den Leichnam Jesu aus dem Grabe
weggenommen, und sie wüßte nicht, wo man denselben mögte hingelegt
haben: darauf wäre er nebst Petro um die Wette zum Grabe gelaufen, sie
hätten die Leinwand und das Schweißtuch allein liegen sehen, und also
geglaubt, was Maria gesagt, nämlich, daß Menschen-Hände den Leichnam
weggenommen (denn das hätten sie noch nicht gewußt, daß Jesus
auferstehen müßte von den Toten): darauf wären sie wieder weggegangen;
Maria aber wäre mit Weinen vor dem Grabe geblieben, und siehe, da sie
hineingekuckt, habe sie zween Jünglinge gesehen, einen zum Haupte, den
andern zu den Füßen, die hätten gefragt: Weib, was weinest du? da sie
nun geantwortet: sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht,
wo sie ihn hingelegt, sei Jesus selbst hinter ihr gestanden, und habe
sich ihr offenbaret. Hieraus ist klar, daß Maria Magdalena, als sie zu
Petro gelaufen, selbst noch nicht gewußt, daß Jesus auferstanden sei,
und daß ihr damals noch kein Engel müsse erschienen gewesen sein;
imgleichen, daß Petrus und Johannes ebenfalls nichts von der
Auferstehung gewußt, als sie zum Grabe eilten, und daß sie auch solches
bei und in dem Grabe nicht erfahren; ja daß Maria es überall nicht von
den Engeln, sondern von Jesu selbst zu wissen bekommen: welches auf eine
dreifache Art dem Berichte Lucae widerspricht. Damit man aber hier nicht
auch die gemeine Ausflucht nehme, wodurch man so Disharmonien zu stimmen
sucht, nämlich, daß etwa Petrus zweimal zum Grabe gewesen: so will ich
aus den Umständen zeigen, daß es bei beiden Evangelisten ein und
derselbe Hingang Petri zum Grabe sein soll.
Luc. XXIV. 12. Petrus lief zum Grabe. edramen.
Joh. XX. 4. Petrus und Johannes liefen. etrechon.
Luc. v. 12. Petrus kuckte hinein. parakypsas.
Joh. v. 5. Johannes kuckte hinein. parakypsas.
Luc. v. 12. Petrus sahe die Tücher allein liegen. blepei ta othonia
keimena mona.
Joh. v. 6. 7. Petrus sahe die Tücher liegen und das Schweißtuch nicht
mit den Tüchern liegen. theohrei ta othonia keimena kai to soudarion ou
meta tohn othoniohn keimenon.
Luc. v. 12. Petrus ging heim.
Joh. v. 10. Petrus und Johannes gingen wieder heim. apehlton palin pros
eautous.
Die Sache gibt es auch, daß Petrus nicht zum andern male kann hinaus
gewesen sein, nachdem Maria etwa zum andern male gekommen und ihm die
Auferstehung verkündiget. Denn solches öftere, und nach einander
erfolgte Ein- und Auslaufen der Marien und Petri, würde nebst dem
Beschauen des Grabes, und der Unterredung mit den Engeln und mit Jesu,so
viel Zeit erfordert haben, daß Petrus zum andern male nicht vor hellem
Mittage hätte zum Tore hinaus und herein gehen können: welches den
Umständen und dem Betragen der Jünger Jesu gänzlich entgegen ist. Denn
damals hielten sie sich noch ganz versteckt, und kamen nicht öffentlich
vors Gesichte der Leute, sondern hielten sich in verschlossenen Türen
beisammen in einem Zimmer, aus Furcht vor den Juden. Ist nun Petrus nur
einmal, ganz frühe, auf der Marien Botschaft, zum Grabe hinaus kommen,
wie kann es bei einander stehen, daß Maria, nach Lucä Bericht, vorher
von den Engeln die Auferstehung gehöret, ja, nach Matthäo, Jesum selbst
im Rückgehen gesehen und gesprochen, auch Befehl bekommen, solches den
Jüngern und insonderheit Petro zu sagen; und daß sie doch, (nach der
Erzählung Johannis) nichts zu den Jüngern und zu Petro sagt, als, sie
haben den Herrn aus dem Grabe weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie
ihn hingelegt haben; ja, daß sie nachher erst die Engel zu sehen
bekömmt, und alsdenn nicht von ihnen, sondern von Jesu selbst erfähret,
daß er lebe?
§ § Der sechste Widerspruch ist Matthäo und Johanne, und bestehet darin,
daß Jesus, nach Aussage des Matthäi, der Maria Magdalena auf dem Weg
nach der Stadt, nach Johannis Aussage aber, vor der Türe des Grabes
erschienen sein soll. Wenn wir die Ausdrückungen des Matthäi ansehen, so
erhellet, daß Maria mit ihren Gefährten schon weit von dem Grabe muß weg
gewesen sein. Sie gingen geschwinde aus dem Grabe, mit Furcht und großer
Freude, und liefen, es den Jüngern zu verkündigen. Indem sie aber so
fort wanderten, siehe, da kam ihnen Jesus entgegen. Allein beim Johanne
heißet es: Maria stund vor dem Grabe; und weinete draußen. In diesem
Weinen bückt sie sich und siehet ins Grab hinein, und wird zween Engel
gewahr, die darin sitzen, und zu ihr sagen: Weib, was weinest du? Ach!
sagt sie, daß sie meinen Herrn weggenommen haben, und ich weiß nicht, wo
sie ihn hingelegt haben. Indem sie dieses sagt, siehet sie sich um, und
siehet Jesum stehen, welcher gleichfalls zu ihr spricht: Weib, was
weinest du? Nun sage man mir doch, wie es möglich sei, daß Maria
zugleich gehen und eilig laufen; zugleich vor dem Grabe stehen und da im
Umsehen Jesum, hinter sich stehend, erblicken, und doch weit vom Grabe,
auf dem Rückwege, Jesum, ihr entgegen kommend, sehen kann? Es ist mir
schon, bei mehr als einer Stelle dieser Untersuchung, die Historie von
der Susanna eingefallen; hier aber schickt sie sich besonders her. Zween
Ältesten in Israel, da sie ihre Geilheit bei der Susanna nicht hatten
büßen können, zeugeten falsch wider sie, daß sich ein junger Geselle zu
ihr im Garten gelegt hätte, und sie sollte schon auf solcher ehrwürdigen
zween Zeugen Aussage, nach dem Gesetze Mosis, zum Tode verurteilet
werden; als Daniel die Richter belehrete, eine bessere Untersuchung der
Zeugen anzustellen. Er frug einen jeden besonders, unter welchem Baume
hast du sie funden? Der eine sprach auf solche Frage: unter einer
Linden? der andere: unter einer Eichen. Also ward die Falschheit ihres
Zeugnisses durch den Widerspruch entdecket, die Jungfer frei gesprochen,
und die Zeugen getötet. Die Regul des Widerspruchs, welche bei dieser
Zeugen-Probe zum Grunde geleget ward, ist an sich ganz richtig, und wird
billig bis auf den heutigen Tag, bei allem Zeugen-Verhöre, ja bei aller
menschlichen Untersuchung der Wahrheit zur Richtschnur gemacht: Wenn
sich Zeugen, wenn sich Geschichtschreiber widersprechen, so kann ihr
Bericht unmöglich wahr sein. Aber bei der Susanna war der Widerspruch
lange nicht so klar, wie es zur Überführung der Falschheit ihres
Zeugnisses erfordert ward. Denn Menschen haben allemal bei solchen
kleinen Neben-Umständen die billige Entschuldigung, daß sie aus Begierde
die Haupt-Sache zu bemerken, auf solche geringe Dinge so genau nicht
geachtet: ihr Fehler bestehet demnach nur darin, daß sie aussagen, was
sie nicht genau wissen, und worin sie sich leicht triegen und einander
widersprechen können: deswegen kann doch die Haupt-Sache wahr sein. Wie,
wenn diese Zeugen gesagt, wir haben, aus Bestürzung über die Schandtat,
welche wir sahen, nicht geachtet, was es für ein Baum gewesen, worunter
wir die Susanna mit ihrem Buhler angetroffen: was hätte doch der gute
Daniel machen, oder wie hätte er die Falschheit ihres Zeugnisses
entdecken wollen? Aber wir haben hier es mit Zeugen zu tun, die sich mit
den Schranken menschlicher Achtsamkeit, oder mit dem gemeinen
menschlichen Fehler, die kleinen Umstände ohne genaue Wissenschaft
hinzuzufügen, nicht entschuldigen: sie wollen und sollen ja in allen
Stücken, in allen Worten, von dem Heiligen Geist, der sie in alle
Wahrheit leitet, getrieben sein. Wie kann denn ein solcher Widerspruch
unter ihnen entstehen, der auch menschlicher Weise bei der sorglosesten
Beobachtung der Umstände nicht leicht würde begangen werden? Denn wie
dort bei der Susannen leicht möglich war, daß einer, der auf die Buhler
unter einem Baume siehet, auf die Art der Blätter und des Baumes gar
nicht achte: so war hier nicht möglich, daß die Maria nicht wissen
sollte, ob sie Jesum nahe vor dem Grabe hinter sich stehend gesehen
hätte, oder ob er ihr weit davon, auf dem Wege zur Stadt, entgegen
gekommen sei.
§ § Der siebende Widerspruch findet sich zwischen eben diesen
Evangelisten Matthäo und Johanne. Denn als, nach Matthäi Bericht, Jesus
denen Weibern begegnet, treten sie zu ihm und fassen seine Füße an, oder
halten ihn bei seinen Füßen. (ekratehsan autou tous podas) Jesus wehret
ihnen auch nicht, sondern spricht vielmehr: Fürchtet euch nicht. Und wie
sollte er es nicht gelitten haben? da er selber zu den Jüngern an eben
dem ersten Tage sagt: Betastet mich und sehet, denn ein Geist hat nicht
Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe. Und hernach über acht
Tage heißet er den Thomas seine Finger und Hände in seine Seite legen,
welches ja durch ein Anrühren geschehen mußte, und aus der Ursache nötig
zu sein schien, damit sie ihn nicht für einen Geist oder Gespenst
hielten. Und doch spricht Johannes, Jesus habe bei seiner ersten
Erscheinung der Marien verboten, ihn nicht anzurühren. Rühre mich nicht
an, spricht er, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater,
gehe aber hin zu meinen Brüdern, und sprich zu ihnen, ich fahre auf zu
meinem Vater und zu eurem Vater. Hier braucht es keiner weiteren
Erläuterung. Wollen angerühret sein, und nicht wollen angerühret sein,
ist ein offenbarer Widerspruch.
§ § Der achte Widerspruch ist in dem Orte, wo Jesus seinen Jüngern
erschienen. Der Engel sagt zu den Weibern beim Matthäo: saget seinen
Jüngern, daß er auferstanden ist von den Toten: und siehe, er wird vor
euch hingehen in Galiläam, daselbst werdet ihr ihn sehen. Eben das
wiederholet Jesus selbst kurz darauf zu ihnen: Gehet hin und verkündiget
meinen Brüdern, daß sie hingehen in Galiläam, daselbst werden sie mich
sehen. Darauf gehen auch die eilf Jünger hin nach Galiläa auf den Berg,
wo Jesus sie beschieden hatte: und sehen ihn da: etliche aber
zweifelten. Hergegen sagt Lucas gerade das Gegenteil. Er erzählet, daß
zween Jünger an eben demselben Tage, da Maria Magdalena die Auferstehung
Jesu erfahren, das ist, an dem ersten Tage seiner Auferstehung nach dem
Flecken Emmaus gewandert, welcher Weg, wie Grotius sagt, nur zwo
Stunden, und etwas darüber kostete. Wie sich nun Jesus auf dem Wege zu
ihnen fügt, und sich ihnen hernach in dem Flecken offenbaret, kehren sie
in derselben Stunde zurück nach Jerusalem, und finden die eilfe und
andere versammelt: erzählen ihnen, daß sie Jesum auf dem Wege gesehen,
und am Brot brechen erkannt hätten. Indem sie dieses sagten, stellet
sich Jesus mitten unter ihnen, und spricht: Friede sei mit euch: zeiget
ihnen seine Hände und Füße, will von ihnen betastet sein, und isset vor
ihren Augen gebratene Fische, zeiget ihnen aus der Schrift, daß Christus
mußte nach seinem Leiden auferstehen: heißet sie Zeugen seiner
Auferstehung werden, und in Jerusalem bleiben, bis sie angetan würden
mit Kraft aus der Höhe, das ist, mit den Gaben des heiligen Geistes, der
am Pfingst-Feste, oder funfzig Tage nach Ostern über sie sollte
ausgegossen werden. Und in der Apostel-Geschichte sagt Lucas noch
ausdrücklicher, Jesus habe ihnen befohlen, nicht von Jerusalem weg zu
gehen, sondern daselbst die Verheißung seines Vaters zu erwarten,
nämlich die Kraft des heiligen Geistes, welcher über sie kommen würde.
Wenn Jesus nun gleich am ersten Tage seiner Auferstehung allen eilf
Jüngern befiehlet, bis Pfingsten zu Jerusalem zu bleiben, und nicht von
dannen zu gehen: wie kann er ihnen dann befohlen haben, in derselben
Zeit nach Galiläa zu gehen? wie kann er versprochen haben, daß sie ihn
dort sehen sollten? und wie kann er sich ihnen da wirklich auf einem
Berge gezeiget haben? Lucas würde selbst gestehen müssen, daß beides
zugleich unmöglich angehe. Darum erwähnt er von der ganzen Galiläischen
Erscheinung und dem Befehle dazu nicht ein Wort. Weder Jesus noch die
Engel sagen bei Luca zu der Marien, wie bei den andern Evangelisten:
saget meinen Brüdern, daß sie hingehen in Galiläam, daselbst werden sie
mich sehen: sondern er kehret die Rede der Engel so: gedenket daran, wie
er auch saget, da er noch in Galiläa war. Vielweniger erzählet Lucas,
daß die Jünger wirklich aus Jerusalem nach Galiläa gegangen, und Jesus
ihnen da auf einem Berge oder am Ufer des Meeres erschienen sei. Sondern
es folget bei ihm sogleich auf den Befehl, daß sie zu Jerusalem bleiben
sollten, daß er seine Jünger von Jerusalem nach Bethanien geführet, sie
da gesegnet, und von ihnen gen Himmel gefahren sei. So wie nun Lucas
keinen so offenbaren Widerspruch mit sich selbst begehen konnte, daß er
bei seinem Verbote, nicht aus Jerusalem zu weichen, eine in Galiläa
bestimmte Erscheinung fügen sollte: so haben hingegen auch die andern
Evangelisten, welche die Galiläische Erscheinung als befohlen und
geschehen erzählen, keines Befehls Jesu, zu Jerusalem zu bleiben,
gedenken können. Matthäus erwähnet gar keiner Erscheinung zu Jerusalem,
sondern bloß der einen in Galiläa auf dem Berge, da Jesus seine Jünger
beschieden hatte; und da spricht Jesus zu ihnen alsobald: gehet hin und
lehret alle Völker. Marcus führet zwar an, daß Jesus sich den Jüngern zu
Jerusalem, da sie zu Tische gesessen, gezeiget; aber nicht, daß er sie
da bleiben geheißen, sondern vielmehr, da er ihnen gesagt: gehet hin in
alle Welt. Und so ist beim Johanne der nebst zween Erscheinungen zu
Jerusalem, auch die Galiläische umständlich berichtet, nicht ein Wort zu
finden, daß Jesus seinen Jüngern gleich Anfangs sollte gesagt haben,
nicht von Jerusalem zu gehen. Denn wie konnten sich diese Leute so
gröblich vergessen, und gleich hinter einander so was hin schreiben,
dadurch das kurz vorhergesagte gänzlich aufgehoben wurde? So gut sich
nun in diesem Stücke ein jeder in Acht genommen, daß er sich nicht
selbst widerlegte: so unwidertreiblich ist hingegen, daß einer den
andern widerlegt und Lügen strafet. Ist es wahr, was Lucas sagt, daß
Jesus gleich am ersten Tage seiner Auferstehung seinen Jüngern in
Jerusalem erschienen ist, und befohlen hat, da zu bleiben und nicht von
da weg zu gehen bis Pfingsten: so ist es falsch, daß er ihnen befohlen
habe in derselben Zeit von Jerusalem nach dem äußersten Galiläa zu
wandern, um ihnen da zu erscheinen. Und umgekehrt kann man nicht anders
denken, ist dieses wahr, so muß jene Rede falsch sein. Es ist der
offenbarste Widerspruch, der auf der Welt sein kann, und zwar in der
Haupt-Sache, darauf die Wahrheit ihres Zeugnisses ankömmt. Denn die
Zeugen der Auferstehung Jesu sollten ja vor allen Dingen zeugen, daß er
ihnen erschienen sei nach seinem Tode. Wenn nun der eine Zeuge sagt, daß
die Erscheinung zu Jerusalem geschehen sei, und außer Jerusalem nicht
habe geschehen sollen, der andere, daß sie in Galiläa geschehen und
geschehen sollen: wenn der eine berichtet, ihr Meister habe ihnen
geboten, von Ostern bis Pfingsten nicht aus Jerusalem zu gehen, der
andere, er habe geboten, binnen der Zeit weit von dannen zu sein: wenn
der eine ihm die gebratenen Fische zu Jerusalem in verschlossenen Türen,
der andere am Galiläischen Meere aufsetzt: so richten sie selbst von
beiden Seiten die Glaubwürdigkeit ihres Zeugnisses zu Grunde. Allein,
wenn wir auch den Befehl Jesu beim Lucas, zu Jerusalem zu bleiben,
wollten ausgesetzt sein lassen: so sind doch beide Erscheinungen an sich
selbst, nämlich die zwiefache zu Jerusalem, und die dritte in Galiläa,
mit ein ander nicht zu reimen; wie es doch scheinet, daß Johannes
einigermaßen habe tun wollen. Denn haben ihn die sämtlichen Jünger zu
zwein malen in Jerusalem gesehen, gesprochen, getastet, und mit ihm
gespeiset: wie kann es sein, daß sie, um ihn zu sehen, die weite Reise
nach Galiläa haben tun müssen? und wozu solle das Hin- und Her-Wandern?
Er konnte ihnen zu Jerusalem eben das sagen, was er ihnen in Galiläa
sagte: und ob sie ihn in Galiläa sahen, hörten, tasten und gebratene
Fische vorlegten, das konnte sie nicht mehr überzeugen, als wenn sie ihn
zu Jerusalem sahen, hörten, tasteten und gebratene Fische vorlegten. Er
soll ja auch zuletzt vor Jerusalem gen Bethanien oder auf dem Ölberge
seine Jünger versammlet haben, und vor ihren Augen gen Himmel gefahren
sein. Wie wenn er ihnen denn vorher zweimal zu Jerusalem erscheinen, und
nun auch bei Jerusalem Abschied von ihnen nehmen wollte; und sie bei
diesen Erscheinungen zu Jerusalem, mit Sehen und Fühlen, mit Sprechen
und Essen, mit Beweis aus der Schrift, und mit vielen Wundern vor ihren
Augen, ja endlich mit seiner Himmelfahrt kräftigst von seiner
Auferstehung überführet hatte: was brauchte es denn, daß diese kräftigst
überführte Jünger zwischen her die weite Reise nach Galiläa taten, um
ihn da zu sehen? Hatte etwa Jesus da was notwendiges zu verrichten, daß
er zur selben Zeit nicht in Jerusalem bei ihnen sein konnte? oder konnte
er sich ihnen da besser zeigen, als zu Jerusalem, und ihnen was mehreres
zu ihrer Überzeugung sagen? Man setze, was man will, so wird keine
vernünftige Ursache von dieser Reise anzugeben sein, wenn sie nicht die
vorige Erzählung, und die Eigenschaften, so man Jesu nach seiner
Auferstehung beilegt, aufheben soll.
§ § Aber in der Galiläischen Erscheinung an sich begehen die
Evangelisten, welche sie erzählen, abermals einen mannigfaltigen
Widerspruch. Ich will, um meine einmal gesetzte Zahl nicht zu
überschreiten, alles in zwei Absätzen fassen. Der neunte Widerspruch
zwischen Matthäo und Johanne mag denn sein, daß Ort und Personen in der
Galiläischen Erscheinung durchaus nicht übereinkommen. Nach dem Matthäo
gehen die eilf Jünger in Galiläam auf einen Berg, dahin Jesus sie
beschieden hatte; und da sehen sie ihn auch. Nach dem Johanne aber
fähret Petrus mit sechs andern aufs Meer Tiberias, zu fischen; und wie
sie wieder ans Ufer kommen, stehet Jesus da und frägt, ob sie was zu
essen hätten. Wie sie es verneinen, heißet er sie das Netz zur Rechten
des Schiffes auswerfen: darauf fangen sie eine Menge Fische; sie steigen
aus, sie finden da (ich denke wohl in der Fischer-Hütte am Strande)
glühende Kohlen; darauf werden die frischen Fische gebraten, und er
setzt sich mit ihnen zu Tische und isset. Nun erkennet ein jeder von
selbst, daß sieben Personen nicht alle eilfe sein können. Aber auch
unter den sieben Personen waren noch drei Fremde, welche zu den eilfen
nicht gehörten. Nämlich die sieben beim Johanne waren 1) Simon Petrus 2)
Thomas 3) Nathanael von Cana aus Galiläa 4 und 5) die Söhne Zebedäi,
Jacobus und Johannes, und 6 und 7) noch andere zween seiner Jünger; von
welchen die beiden letztern, als nicht so bekannte, und daher
ungenannte, nicht aus der Zahl der Apostel waren, wie auch Nathanael zu
den eilfen nicht gehörte. Denn diese waren 1) Simon Petrus 2) Andreas,
sein Bruder 3) Jacobus und 4) Johannes, die Söhne Zebedäi 5) Philippus
6) Bartholomäus 7) Thomas 8) Matthäus, der Zöllner 9) Jacobus, Alphei
Sohn 10) Lebbäus, mit dem Zunamen Thaddäus, und 11) Simon Canaites.
Dannenhero stimmen beide Evangelisten nur in vier Personen, Petro, Thoma
und den Söhnen Zebedäi überein. Sie widersprechen sich aber, teils, daß
nach dem Matthäo, alle eilf Apostel bei der Erscheinung sind, beim
Johanne ihrer acht fehlen; teils, daß Matthäus keine Fremde dazu nimmt,
Johannes aber drei andere in die Gesellschaft ziehet. Man erkennet aber
auch leicht, daß der Ort nicht einerlei ist bei beiden Evangelisten.
Mattäus bringt die Jünger auf einen Berg in Galiläa, da Jesus zu ihnen
kömmt und seine Unterredung hält. Weil aber auf dem Berge nichts zu
beißen und zu brechen war, so bewirtet er auch die Gesellschaft mit
keinem Essen. Hergegen bei dem Johanne stehet Jesus nahe am Ufer des
Meeres Tiberias, da sehen sie ihn, da sprechen sie, da speisen sie mit
ihm die gefangenen und frisch gebratenen Fische. Heißet dies nun eine
Übereinstimmung einer Geschichte, wo Personen und Ort so sehr
verschieden sind?
§ § Endlich sind auch die Umstände der Erscheinung in dieser zween
Zeugen Munde widersprechend. 1) Beim Matthäo ist die Galiläische
Erscheinung die allererste. Die Jünger bekommen durch die Maria, ehe sie
noch den Herrn selbst gesehen haben, Befehl, nach Galiläa zu gehen, da
würden sie ihn sehen: sie gehen also sämtlich hin, und sehen ihn auf dem
Berge, wohin er sie beschieden hatte. Bei dem Evangelisten Johanne gehen
zwo Erscheinungen zu Jerusalem bei den sämtlichen eilf Aposteln vorher,
und diese Galiläische zählet er als die dritte, nachdem Jesus von den
Toten auferstanden. Hätte Matthäus diese Galiläische Erscheinung für die
dritte gehalten: so würde es übel für die Apostel aussehen, welche von
der Auferstehung Jesu gezeuget haben. Denn er spricht: da sie ihn sahen,
beteten sie ihn an; etliche aber zweifelten. Wie konnten denn diese
etliche Zweifler Zeugen abgeben, wenn sie ihn hernach nicht wieder
sahen; wie denn Matthäus keiner weitern Erscheinung, noch der
Himmelfahrt selbst gedenket, sondern Jesum da auf dem Berge Abschied von
seinen Eilfen nehmen lässet, mit den Worten: siehe, ich bei euch alle
Tage, bis an der Welt Ende. 2) Die Erscheinung bei dem Matthäo ist
vorher bestimmet, und von den Jüngern an dem Orte erwartet; sie kennen
ihn auch mehrenteils, wie er erscheinet, daß er es sei, und fallen vor
ihm nieder. Aber beim Johanne erscheinet Jesus von ohngefähr, da ihn
keiner vermutete: die Jünger waren aus ganz andern Ursachen, nämlich um
des Fischens willen, am Ufer, und hernach, als sie ihn sahen, wußten sie
es erst nicht, daß es Jesus war: endlich sagen sie sichs einander ins
Ohr: es ist der Herr: niemand aber von den Jüngern hatte das Herz, ihn
zu fragen: wer bist du? ob sie gleich wußten, daß es der Herr war. 3)
Die Reden endlich, welche Jesus bei dieser Galiläischen Erscheinung zu
seinen Jüngern soll geführet haben, stimmen in keiner einzigen Sylbe,
bei beiden Evangelisten, mit einander überein.
§ § Saget mir vor Gott, Leser, die ihr Gewissen und Ehrlichkeit habt,
könnet ihr dies Zeugnis in einer so wichtigen Sache für einstimmig und
aufrichtig halten, das sich in Personen, Zeit, Ort, Weise, Absicht,
Reden, Geschichten, so mannigfaltig und offenbar widerspricht? Zween
dieser Evangelisten, nämlich Marcus und Lucas, haben es nur aus
Hörsagen, was sie schreiben: sie sind keine Apostel gewesen, und
verlangen nicht einmal zu sagen, daß sie Jesum nach seinem Tode selber
mit ihren Augen gesehen hätten. Matthäus und Johannes, die Jesum als
Apostel selber wollen gesehen haben, widerlegen sich einander am
allermeisten: so, daß ich frei sagen mag, es sei fast kein einziger
Umstand, von dem Tode Jesu an bis zu Ende der Geschichte, darin ihre
Erzählung zusammen zu reimen wäre. Und doch ist sehr merklich, daß sie
alle beide die Himmelfahrt Jesu gar weglassen: er verschwindet bei
ihnen, und man weiß nicht, wo er geblieben: gleich als ob sie nichts
davon wüßten, oder als ob dieses eine Kleinigkeit wäre. Auch in den
Erscheinungen Jesu vor seiner Himmelfahrt, deren etwa sechs aus allen
Evangelisten zusammen zu rechnen sind, ist dieses merklich, daß sie
insgesamt allen übrigen ehrlichen Leuten unsichtbar, allein aber den
Jüngern Jesu sichtbar gewesen sein sollen: erst ganz frühe Morgens im
Garten Josephs von Arimathia; dann auf dem Wege nach Emmaus; zweimal in
verschlossenen Türen; wiederum auf dem Berge in Galiiläa; und vor
Jerusalem. Wenn die Jünger an solchen abgesonderten Orten sind, da sie
keine andere Menschen um sich haben, so sagen sie, sei Jesus zu ihnen
gekommen. Sie machen es nicht wie andere aufrichtige Leute, die mit
Wahrheit umgehen, und sich frei auf mehrere Menschen berufen dürfen, die
ihn hätten kommen, weggehen, wandern sehen: nein, er stehet bei ihnen,
ohne zu kommen, er kömmt auf eine menschlichen Augen unsichtbare Art,
durch verschlossene Türen, durchs Schlüsselloch, und so verschwindet er
wieder den Augen; niemand auf der Gasse oder im Hause siehet ihn kommen
und weggehen. Ja in aller der Zeit von 50 Tagen, so lange er nach seiner
Auferstehung soll auf der Erde gewandelt haben, und von den Jüngern hin
und wieder gesehen sein, lässet sich auch kein einziger Jünger zu einem
Fremden was von seiner Auferstehung vermerken; sie halten die Sache
heimlich, man mögte sonst zu ihnen gesagt haben: weiset ihn uns auch, so
wollen wir glauben, daß er lebe. Nein, sie lassen ihn erst für sich
aufleben, sich ohne jemandes Wissen unsichtbarer Weise erscheinen und
vor ihren einzigen Augen bei Jerusalem von dem Ölberge, ohne daß es
jemand in der Stadt erblicket, durch die Luft gen Himmel fahren, dann
gehen sie erst aus und sprechen: er ist da und dort gewesen. Er soll ja
selber in seinem Leben zu seinen Jüngern gesagt haben, wenn jemand zu
ihnen nach seinem Tode sprechen würde: siehe, hie ist Christus oder da,
so sollt ihrs nicht glauben. Siehe, er ist in der Wüsten, so gehet nicht
hinaus: siehe, er ist in der Kammer, so glaubets nicht. Matth. XXIV. 23.
26. Wie sollen wir denn glauben, da seine Jünger nicht bei Zeiten
sprechen; sehet, er ist da: nein, sondern er ist hie, er ist da gewesen.
Nicht, sehet, er ist in der Wüsten; sondern er ist in der Wüsten, am
Meere, auf dem Berge gewesen; nicht, er ist bei uns in der Kammer:
sondern er ist bei uns in der Kammer gewesen? Mein! ist er darum vom
Himmel gekommen, um incognito zu sein? um sich nicht als einen solchen,
der vom Himmel gekommen sei, zu zeigen? Leiden und Sterben können auch
andere Menschen, aber vom Tode können sie nicht wieder aufstehen. Warum
lässet er denn jenes aller Welt sehen, dieses aber nicht? Warum sollen
die Menschen mehrere Gewißheit davon haben, daß er sei, wie einer der
übrigen Sterblichen, als davon, worauf ihr Glauben soll gegründet
werden, daß er die Menschen vom Tode erlöset habe? Konnte wohl die Welt
von einer an sich unglaublichen Sache zu viel überführet sein? Ist es
denn genug, daß einige wenige seiner Anhänger, die noch dazu großen
Verdacht auf sich laden, daß sie den Körper des Nachts heimlich
gestohlen haben, seine Auferstehung wider alle Wahrscheinlichkeit und
mit vielem Widerspruche in die Welt hinein schreiben? Ist er darum nur
zu den Schafen des Hauses Israels gekommen, daß sie zum Ärgernisse sehen
sollen, wie er sich selbst vom Tode nicht erretten kann, und hören, wie
er als ein von Gott verlassener Mensch seinen Geist aufgebe; nicht aber,
daß sie ihn als einen Besieger des Todes und wahrhaften Erlöser in
seiner Herrlichkeit erkennen? Die unsichtbaren Teufel und verdammten
Seelen in dem Pfuhle, der mit Feuer und Schwefel brennet, haben die
Ehre, daß sie den auferstandenen Jesum sehen: aber die Menschen, welche
Augen haben zu sehen, denen zu gute er auferstanden sein sollte, und
denen die Überzeugung davon nötig war zur Seligkeit: die haben das
Unglück, daß sie ihn nicht zu sehen bekommen. Hätte er sich doch nur ein
einziges mal nach seiner Auferstehung, im Tempel vor dem Volke und vor
dem hohen Rate zu Jerusalem, sichtbar, hörbar, tastbar gemacht: so
konnte es nicht fehlen, die ganze jüdische Nation hätte an ihn geglaubt,
und wären so viel tausend Seelen mit so vielen Millionen Seelen der
Nachkommenden, jetzt so verhärteten und verstockten Juden aus ihrem
Verderben gerettet worden; da hätte der Teufel, dessen Reich zerstöret
werden sollte, nicht so viele Millionen Untertanen gegen einige wenige
Nachfolger Jesu aus dem auserwählten Volke Gottes aufstellen können.
Gewiß, wenn wir auch keinen weitern Anstoß bei der Auferstehung Jesu
hätten, so wäre dieser einzige, daß er sich nicht öffentlich sehen
lassen, allein genug, alle Glaubwürdigkeit davon über den Haufen zu
werfen: weil es sich in Ewigkeit nicht mit dem Zwecke, warum Jesus soll
in die Welt gekommen sein, zusammen reimen lässet. Es ist Torheit, über
den Unglauben der Menschen klagen und seufzen, wenn man ihnen die
Überführung nicht geben kann, welche die Sache selbst, nach gesunder
Vernunft, notwendig erheischet."
(Quelle:
http://homes.rhein-zeitung.de/~ahipler/kritik/frag5.htm )