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Die
Handlung des Romans »Arnes Nachlaß«
(1999) von Siegfried Lenz verläuft auf zwei verschiedenen
Erzählsträngen, die mit der nachfolgenden
Strukturskizze dargestellt
sind.
Sie stellen eine grundlegende
Erzählstruktur
dieses Romans dar.
Die "Gegenwartshandlung"
umfasst das Packen des Nachlasses von Arne durch Hans und dessen
Begegnungen und Gespräche mit seinem Vater, Lars und Wiebke am gleichen
Abend. Das Geschehen dieses Erzählstrangs wird aus der
personalen Sicht des Ich-Erzählers
Hans wiedergegeben. Im Rahmen der Gegenwartshandlung meldet sich freilich
Hans auch einmal als
auktorialer Ich-Erzähler zu
Wort und kommentiert das Geschehen vom Zeitpunkt der Erzählergegenwart
her. Denn als er Arne zum ersten Mal direkt anspricht, bringt er damit indirekt die Erzählergegenwart zur Sprache, jenen Zeitpunkt also, zu dem der Ich-Erzähler die Geschichte erzählt. "Ach, Arne", äußert Hans,
"an diesem Abend brachte ich es anfangs nicht fertig, deine
Hinterlassenschaft einfach einzusammeln und still wegzuräumen und für
unbestimmte Zeit in die ewige Dämmerung des Bodens zu verbannen." (S.8)
Das temporale Adverb "anfangs" ist dabei eindeutig nicht dem personalen
Ich zuzuordnen, sondern dem auktorialen, das die ganze Zeit des Erzählens
überblickt. Dennoch: zu einer produktiven Spannung
zwischen dem personalen und dem auktorialen Ich kommt es sonst nicht. Da
das auktoriale Ich offenbar über keine anderen Erkenntnisse als das in der
Gegenwartshandlung agierende Erzähler-Ich besitzt, sind die Übergänge,
insbesondere in den Passagen, in denen Hans Arne in Gedanken anspricht,
fließend.
Die
erzählte Zeit der "Vergangenheitshandlung"
lässt sich nicht genau bestimmen. Feststeht nur, dass Arne bei seiner
Ankunft auf der Werft 12 Jahre alt ist (S.13), seinen vierzehnten
Geburtstag bei der Familie von Hans feiert (S.104f.) und kurz vor seinem
Tod mit Wiebke auf dem Rummelplatz (Dom) etwa 15 Jahre alt ist (vgl. S.
144). Seinen 15.Geburtstag hat er wohl nicht mehr erlebt, denn der Vater
von Hans erwähnt, er habe Arne eigentlich noch ein Foto der »Albators« zum
(15.!?) Geburtstag schenken wollen (vgl. S. 27). So ist davon auszugehen,
dass die erzählte Zeit der Vergangenheitshandlung etwa 2-3 Jahre
umfasst. Die Gegenwartshandlung ist die übergeordnete Handlung, in die,
angeregt von Gegenständen des Nachlasses, immer wieder Episoden aus
der Vergangenheit, als Arne in der Pflegefamilie lebt, eingelagert sind.
Dabei werden diese Episoden meist von dem Ich-Erzähler Hans aus eigener
Anschauung erzählt, aber auch andere erzählen solche Episoden, z. B.
Wiebke mit ihrem Bericht über ihre Erlebnisse mit Arne auf dem Dom und der
Vater von Hans mit seinem Bericht über seine letzte Unterredung mit Arne
(S. 193). Und ein einziges Mal stützt sich Hans auf die Berichte anderer,
deren Ausführungen er aber, gerade weil sie sich in Einzelheiten
widersprechen, Vertrauen schenkt (vgl. S.176 Planung des Kutterkaufs).
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.02.2014
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