Veit
Tümpel hat für den Verlauf der •
analytischen •
Dramenhandlung, i. e. S. das
Aufdecken der Vorgeschichte und ihrer Bedingungen, keine wesentliche
dramaturgische Funktion. Das bedeutet aber nicht, dass die Figur
quasi funktionslos, letzten Endes gar verzichtbar für den Fortgang
der • Handlung ist.
Außer dem, was
sie sprechhandelnd tut, steht
sie als Figur in •
Korrespondenz- und Kontrastbezügen zu anderen Figuren oder
Personengruppen des Dramas.
Die Korrespondenz- und Kontrastanalyse lässt sich mit Hilfe des
dafür vorgesehenen •
Fragenkatalogs
detailliert und textbezogen durchführen. Die nachfolgende
Darstellung beruht auf der Berücksichtigung dieser Fragen.
Veit Tümpel gehört zu allen »
Konfigurationen, die nach seinem ersten Auftreten im •
6. Auftritt, mit dem der Prozess
vor dem Gericht beginnt, auf der Bühne sind. Seine Bühnenpräsenz bis
zum Schuss des Stückes ist hingegen im Vergleich mit etlichen
anderen Figuren, die ebenfalls mit ihrem erstmaligen Auftreten bis
zum Schluss die Bühne nicht verlassen (•
Ruprecht, •
Marthe Rull
und
▪ Eve,• Gerichtsrat •
Walter), nichts,
was ihn besonders hervorhebt. Sein Anteil an der
dramatischen Rede
des gesamten Stückes hat, was die •
Haupt- und •
Nebenfiguren
anbelangt, den geringsten Umfang. Meistens steht er wortlos herum,
bis auf eine längere Einlassung, als er sich über die von •
Marthe Rull
ins Spiel gebrachten •
Fluchtpläne seines Sohnes vor der drohenden Einberufung zum
Militärdienst (▪ 9.Auftritt)
entrüstet und seinen Sohn wegen dessen Missachtung seiner
Anweisungen (•
7.Auftritt), sich seiner
Verlobten nur so weit zu nähern, wie dies Sitte und Anstand in der
Dorfwelt zulassen, tadelt. Sieht man von seinem die Versöhnung von
Eve und Ruprecht besiegelnden Satz im
12. Auftritt der Kurzfassung ab
("Küßt und versöhnt und liebt euch"),
meldet er sich eigentlich nur mit kurzen, meist ziemlich derben
Bemerkungen wie "Halt's Maul, sag ich!",11.Auftritt).zu
Wort, die den Charakter von Zwischenrufen haben.
Nicht nur der quantitative Anteil Veit Tümpels an der dramatischen
Rede, sondern auch seine
•
Bedeutung im
Handlungsverlauf machen ihn zu einer Nebenfigur des Dramas.
Unter dem Blickwinkel der •
Figurenkonstellation
des Lustspiels betrachtet, steht ▪
Veit
Tümpel, in verschiedenen Kontrast- und Korrespondenzbeziehungen
zu anderen Figuren.
Zunächst einmal ist er Teil der in der
Gerichtsverhandlung auftretenden Gruppe der Dorfbewohner, gehört zu
ihrer Dorfwelt mit ihrer einfachen, mitunter derb wirkenden Sprache,
ihren gesellschaftlichen Spielregeln, Gepflogenheiten und Normen,
nach denen zu handeln, er auch von seinem Sohn während der
Verlobungszeit verlangt. Insofern ist er ein typisches Mitglied
dieser Dorfgemeinschaft mit den entsprechenden
Korrespondenzmerkmalen.
In diesem Dorf kennt jeder jeden und seiner Bewohnerinnen und
Bewohner wohnen in so enger Nachbarschaft zusammen, dass
ungewöhnlicher Lärm im Garten zu früher Nachtstunde etliche von
ihnen, aus welchen Gründen auch immer, zusammenlaufen lässt, um mit
eigenen Augen sehen zu können, was der Grund dafür ist, wie dem
Bericht von •
Ruprecht zu entnehmen ist (•
7.Auftritt): Und nicht nur die neugierigen Nachbarn •
Ralf und Hinz , auch • "Muhme Sus'
und Muhme Liese", •
Knechte und Mägde sowie Hunde und Katzen (!) lassen sich so ein
"Spektakel"
nicht entgehen.
Dass • Veit
Tümpel sich nicht in die Schaulustigen einreiht, dürfte eher
dramaturgische Funktion haben. Er erfährt ja erst im Verlauf des
Prozesses, was sein Sohn "angestellt" hat. Dies ist auch die
Voraussetzung dafür, dass er seine ursprünglich
väterlich-patriarchalische Schutzrolle aufgeben kann und seinen Sohn
nach den "schändlichen"
Enthüllungen (unsittliches Verhalten, geplante Desertation) fallen
lässt und ihm den Teufel an den Hals wünscht: "dann
(soll)
der Teufel (...) den Hals ihm brechen."
(• 9.
Auftritt). Dass er sich ohne, dass er dies in irgendeiner
Weise zum Ausdruck gebracht hätte, am Ende wie ein Chamäleon wieder
•
zum patriarchalen Ehestifter aufschwingt (12.
Auftritt der Kurzfassung) verstärkt die Komik, die von der Figur
Veits ausgeht.
In dem Dorf werden offenbar familiäre Beziehungen gepflegt und so spricht
auch Veit von
seiner Schwester •
Brigitte in Koseform ("Schwester
Briggi", 9. Auftritt),
als er verwundert zur Kenntnis nimmt, dass ausgerechnet seine
Schwester •
Marthes
Behauptung, Ruprecht habe den Bruch des Kruges zu verantworten, •
mit ihrer Aussage bekräftigen (9.
Auftritt) soll. Die Familienverhältnisse im Dorf sind, auch dies
macht die Figur Veit deutlich, in der Regel patriarchalisch
strukturiert und bestimmte Regeln, auch bei der Eheanbahnung und im
Umgang der Brautleute miteinander gelten offenbar seit langer Zeit. So ist es Veit, der beabsichtigt, die Verlobung seines
Sohnes nach den Vorkommnissen der Nacht zuvor •
ganz offiziell zu lösen und die Verlobungsgeschenke (•
Silberkettlein, •
Schaupfennig)
zurückfordern will und er ist es auch, der, falls Ruprecht doch zum
Schadenersatz verurteilt werden sollte, ▪
dafür aufkommen
will. (▪
6.Auftritt).
Neben den
Korrespondenzbeziehungen, die zwischen Veit und den anderen
Mitgliedern der Dorfwelt bestehen, gibt es auch eine Korrespondenz
zwischen der Vater-Sohn-Familie (Veit und • Ruprecht)
und der Mutter-Tochter-Familie (•
Marthe Rull
und
▪ Eve). Auch wenn Marthe als
Frau ohne Ehemann dargestellt ist, repräsentiert sie im Grunde, das,
was Veit nur eingeschränkt tut. Sie verteidigt ihre Interessen und
die ihrer Tochter, der, wenn sich der Verdacht "unzüchtigen"
Verhaltens bestätigen sollte, der Pranger droht.
Der
Figurenkontrast,
der zwischen Veit und Marthe besteht, dominiert dabei eindeutig das,
was sie in ihrer Rolle als Beistand ihrer Kinder vor Gericht
miteinander verbindet. Veit Tümpel ist als Beistand seines Sohnes
der resolut auftretenden Mutter von ▪ Eve
im Grunde nicht gewachsen und nimmt während der Verhandlung vor
allem eine wortlose Beobachterrolle ein.
In seiner Zugehörigkeit zur Dorfwelt steht Veit Tümpel wie alle
anderen "Dörfler" auch in einem Kontrastbezug zu den Personen der
Gerichtswelt, in der der Dorfrichter eine besondere Rolle spielt.
Der Gerichtsrat •
Walter, der stets
darum bemüht ist, sein Amt würdig zu repräsentieren, und der
Schreiber •
Licht, der offensichtlich
über eine fundierte Ausbildung verfügt, repräsentieren eine
Gerichtswelt mit eigenen formalisierten Regeln, einem Habitus und
obrigkeitlichen Gestus, der sich auch in ihrer Sprache ausdrückt,
die sich von der der Dorfbewohner deutlich unterscheidet. Anders ist
es bei •
Adam, der sich zwischen
beiden Welten bewegt und dementsprechend sich der Vulgärsprache
ebenso bedient wie amtssprachlicher Floskeln, was eine grundsätzlich
komische Wirkung besitzt. Die Legitimität der Gerichtswelt und ihrer
Vertreter steht dabei für die Dorfbewohner und damit auch für Veit
Tümpel außer Frage. Er hält unbeirrt an seiner Treue zur und an
seinem Glauben an die Obrigkeit fest, deren Vertretern (vor allem •
Walter, aber sogar
auch gegenüber •
Adam ) er im Prozess im
Gegensatz (Figurenkontrast) zu seinem impulsiveren Sohn eigentlich immer mit gehörigem
Respekt begegnet. Zugleich erkennt er die •
Legitimität eines Gerichtsurteils (6.
Auftritt) in der Krugsache an. Dabei ist er wohl ein typischer
Vertreter der Dorfgemeinschaft, denn schließlich hofft auch •
Marthe auf ein
für sie günstiges Urteil in der Krugsache sowie wegen des angeblich
unzüchtigen Verhaltens von Ruprecht, der ihrer Ansicht nach die Ehre
ihrer Tochter in den Schmutz gezogen hat.