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Franz Kafka hat ein "sehr komplexe(s) Verhältnis zu Frauen, das sich ebenso
in seinem Leben wie in seinem Schreiben niederschlägt." (Liska
2008, S.61) Und weil dem so ist, gibt es auch zahlreiche
Forschungsansätze, denen "in der frühen Rezeption vor allem biographische
und psychoanalytische, später auch feministische, rezeptionsästhetische,
kulturgeschichtliche und diskursanalytische" Überlegungen zugrunde liegen.
Die einen untersuchen die Frauen in Kafkas realem Leben, andere die
Frauengestalten in seinen Werken und wieder andere wenden sich Aussagen über
Frauen und Weiblichkeit zu, die der Autor in Tagebüchern und Briefen
hinerlassen hat. (vgl.
ebd.)
Dieser umfangreiche Diskurs kann hier nicht nachgezeichnet werden. Dennoch
sollen vorab zwei Positionen einander gegenübergestellt werden, die ein in
mancherlei Hinsicht diametral entgegengesetztes Verständnis der Frauen, wie
es sich auch im "Prozess" darstellt, repräsentieren.

Die eine Position, die, da sie zumindest "griffiger" ist, auch wohl immer
noch eine weitaus größere Verbreitung hat, sieht die Frauen stets in einer
ambivalenten Rolle, nämlich als Hilfe und Hindernis zugleich. Sie stellen
sich, so diese Auffassung weiter, dem Autor im realen Leben wie auch seinen
Helden in den Weg oder machen ihm verführerische Versprechungen, die ihn
irritieren. Die Frau dient insofern "als Spiegel des männlichen
Selbstverständnisses, als copula zwischen Männern oder als
Vermittlungsagent zwischen dem männlichen Protagonisten und der Außenwelt,
respektive der geheimnisvollen Instanz, die ihn bedrängt." (Liska
2008, S.62)
Auch aus feministischer Sicht wird dieses negative und
bedrohliche Frauenbild lange vertreten und zum Teil noch ideologiekritisch
intensiviert. Dabei wird der verdinglichte
Objektcharakter von Frauen in Kafkas literarischem Werk herausgestellt. So
zeige sich das Weibliche bei Kafka stets zwischen den beiden gängigen Polen
einer im Leben fest verwurzelten Normalität und einem unheimlichen, mythisch
erscheinenden und stets bedrohlich wirkenden Abgrund. So wie sie auf der
einen Seite in ihrem unreflektierten Alltag verhaftet scheinen, dabei
körperliche Gesundheit ausstrahlen und bürgerliche Stabilität verheißen,
verkörpern Frauen von ihrer mythischen Seite aus betrachtet, "eine
bedrohliche, kreatürliche Seinsform, die für das männliche Subjekt eine
tödliche Gefahr darstellt." (ebd.,
S.64)
Die poststrukturalistisch orientierte feministische Literaturkritik hat sich
indessen von diesen Gedanken abgewendet. Indem sie die bei der
Interpretation gängige Übertragung eines fiktionalen Textes auf die
außertextliche Realität rundweg ablehnt, verweigert sie sich auch konsequent
einer Betrachtung, welche die im Text realisierten Frauengestalten auf
Einstellungen, Meinungen und Haltungen des Autors zum Weiblichen
zurückführen will. Indem sie betont, dass gerade Kafkas Texte, "die
Grenzziehung zwischen den Kategorien des Realen und des Textuellen" in Frage
stellen (ebd.,
S.64), hat sie das den Kafka-Texten eigene Schwanken dazwischen "zunehmend
selbst ins Auge gefasst und als Gestus der kritischen Herausforderung
patriarchalischer Fixierungen des Weiblichen interpretiert" und Kafka damit
"zum Verbündeten eines alternativen, dekonstruktiven Feminismus avant la
lettre" gemacht .(ebd.,
S.64f.)
Die Frauen im "Prozess"
Die Frauen in Franz
Kafkas Roman "Der
Prozess" stellen im engeren Sinne keine Charaktere dar, sondern in ihrer
ganz überwiegenden Mehrheit spielen sie ziemlich genau festgelegte Rollen
"als erotisch aufgeladene Typenfiguren innerhalb männlich besetzter
Ordnungen" (Alt
2008, S.397) Dementsprechend und als Konsequenz aus der von Kafkas
Erzähler fast immer streng durchgehaltenen
personalen Erzählperspektive erhalten sie ihre Konturen als Figuren nur
aus der Sicht und Wahrnehmung Josef K.s. Was in ihnen vorgeht, wie ihr Leben
jenseits der Wahrnehmung von K. bzw. dessen, was ihm darüber zugetragen
wird, funktioniert, bleibt dem Leser daher vorenthalten.
Sämtliche Frauen stellen Nebenfiguren in der Handlung dar,
sind
statisch
und eindimensional konzipiert und machen daher auch keine Entwicklung im Laufe
der Prozess-Handlung durch. In ihrer Bedeutung für den Prozess
Josef K.s lassen sie sich allerdings deutlich voneinander abheben. Unter
diesem Aspekt betrachtet sind Fräulein Bürstner, die
Frau des
Gerichtsdieners und
Leni wohl die wichtigsten Frauenfiguren des Romans. Alle
drei gehören wie auch das Mädchen in den Kanzleien, die drei Mädchen beim
Maler Titorelli und Helene als Geliebte des Staatsanwalts Hasterer und auch
Fräulein Montag zu der Gruppe von Frauen, die jede auf ihre Weise der
Gerichtswelt zugeordnet sind. Sie scheinen mehr als Josef K. über dessen
Strukturen und Vorgehensweise im Bilde zu sein und eröffnen ihm - fast alle
sind übrigens irgendwie "Türhüterinnen" (vgl.
Reck 2008, S.209) - bestimmte Zugänge oder Einsichten in seinen Prozess. Zu der Gruppe von Frauen, die mit dem
Gerichtswesen nichts, oder zumindest nur ganz am Rande zu tun haben, also in
gewisser Hinsicht zur "Privatsphäre" Josef K.s zählen, gehören dagegen
dessen Vermieterin Frau Grubach, sowie deren Zimmermädchen Anna, K.s Kusine
Erna, K.s Mutter sowie die wahrscheinlich als Prostituierte tätige
Zimmerkellnerin Elsa, die K. regelmäßig aufsucht.
Für
Leich
(2003, S.54) zeigt Leni "jene Aspekte der Sexualität, die mit dem
kulturell Verdrängten und den unbewussten Wünschen in Verbindung stehen."
Dagegen zeige Kafka an Fräulein Bürstner "die Zerstörung und Heimatlosigkeit
der Sinnlichkeit in der spätbürgerlichen Gesellschaft" auf. Da Josef K. "die
Lebens- und Glücksmöglichkeiten, die diese beiden Frauen bieten", nicht
erkennen und ergreifen könne, scheitere in in zweifacher Hinsicht.
Was Kafka an Leni verdeutlicht, lasse sich wie ein Blick in die Geschichte
der menschlichen Gattung lesen, da Leni "in der gleichmachenden Promiskuität
und in ihrer Unberührtheit vom Leistungsdenken zurück auf eine der
individuellen Erinnerung entzogene Vorvergangenheit" verweise." Mit dem
Mittel dieser "regressiven Rückbindung" könne Kafka " die Zurichtung der
Sexualität durch das Leistungs- und Konkurrenzprinzip erkennbar und
transparent [...] machen". Leni passe weder zu monogamen Moralvorstellungen, noch verhalte
sie sich "nach dem bürgerlichen Tauschprinzip". Vielmehr unterlaufe "ihre
sexuelle Wahllosigkeit [...] die Beschneidung der Sexualität als
einerseits zwar gefühlsbetonte, aber entsexualisierte Romantik und
andererseits als deren Herabsetzung zu einer Fortpflanzungsfunktion in der
bürgerlichen Ehe." Leni erfüllt, so
Leich
(2003, S.54) weiter, mit ihrer "Aufdeckung" und "Offenlegung"
gesellschaftlich verbotener und verpönter Wünsche eine aufklärerische
Funktion, was ihr als Figur einen "humanen und befreienden Charakter" gebe.
Dabei stünden allerdings diesen Anteilen Lenis "ihre sirenenhaften
und besitzergreifenden Züge" gegenüber, die mit ihren Besitzansprüchen und
ihrer Promiskuität männliche Ängste widerspiegele.
So geht von Leni, wie auch anderen Figuren des Romans eine sexuelle
Anziehungskraft auf Josef K. aus, die eine eine "fast gewaltsame Energie" (Alt
2008, S.398) darstellt.
Fräulein Bürstner - man denke nur an die
Obszönität ihres Namens - wird von Frau Grubach ein moralisch verwerflicher
Lebenswandel vorgehalten (vgl.
HL S. 20) , die Frau des Gerichtsdieners macht K. eindeutig
sexuelle Offerten (vgl.
HL S.42,
45) und gibt sich wie ein willenloses Objekt der sexuellen
Lust des Untersuchungsrichters hin (vgl.
HL S. 46) und Elsa, die Kellnerin in einer Weinstube, empfängt als Prostituierte offenbar nicht nur
Josef K. in aller Regelmäßigkeit (vgl.
HL S. 21). Die Geliebte des Staatsanwalts Hasterer, Helene, "eine
dicke ältliche Frau mit gelblicher Haut und schwarzen Locken" (HL
S.176) verbringt ihre Tage im
Bett und scheut sich offenkundig nicht, sich auch Besuchern in schamloser
Weise zu zeigen (vgl.
HL S.176) und die drei Mädchen, die bei Titorelli wohnen, treiben ein
frivoles, aber vulgär erscheinendes Spiel mit dem Maler und Josef K. (vgl.
HL S.101f.) Ob K.,
wie u. a. auch
Alt (2008, S. 397) betont, den "mächtigen Leib"
(HL
S.16): Frau Grubachs, "seiner
ältlichen Zimmerwirtin" als Signal erotischer Anziehung wahrnimmt, sei
dahingestellt, hat aber neben der von ihr als Frau repräsentierten
Muttertyps (vgl.
Gräff 2003, S.61,
Beicken 1999, S.151)
wohl eher untergeordnete Bedeutung.
Wenn, wie in der Literatur zum "Prozess" immer wieder betont, viele
seiner Frauengestalten "hurenhaft" erscheinen oder gar einen "dirnenhaften Charakter"
haben (Beicken
1999, ebd.), dann trifft dies, soweit es K.s Verhältnis zu Frauen
anbelangt insoweit zu, als die große Mehrheit aller Frauengestalten im Roman, zumindest vordergründig, "auf
den reinen Sexus" (Alt
2008, S.398) beschränkt scheinen. Zugleich aber spiegelt dieses
abwertende Urteil auch die Vorurteile zahlreicher
männlicher Interpreten wider. Dies wird insbesondere im Falle von
Leni
deutlich, die nicht zuletzt wegen ihres angeblichen "Männerhunger(s)" (Politzer
1978, S.304f.) zu den Frauengestalten Kafkas zählt, die, wie kaum eine
andere, besonders negativ bewertet worden ist. (vgl.
Leich 2003, S.45) Während manche Frauen, insbesondere Fräulein Bürstner,
die Frau des Gerichtsdieners und Leni auf Josef K. sexuell anziehend wirken,
ist der Eindruck, den Fräulein Montag hinterlässt, von Kafka als "»hässliche Deutsche«
mit pedantisch-missgünstiger Persönlichkeit" (ebd,,
S.14) markiert, eher abstoßend. Diese besitzt nicht nur ein
wenig ansprechendes Äußeres, sondern auch
ein körperliches Handicap, eine Behinderung (HL S.167), die sich
einreiht in körperliche Missbildungen, die auch andere, vor allem sexuell
konturierte Figuren aufweisen. So ist die "schon
ganz verdorben(e)" (HL S.101) Anführerin der drei Mädchen, die K. im
Haus des Gerichtsmalers Titorelli bedrängen und diesem als
"Mischung von Kindlichkeit und Verworfenheit"
(HL S.101) vorkommt, von
einem Buckel gezeichnet und vereint somit erotisch Aufreizendes und
Abstoßendes in einer Person. (vgl.
Beicken 1999, S.156) Josef K. reflektiert in Form eines
kurzen
inneren Monologs bei seinem ersten Zusammentreffen mit Leni darüber, was
ihn mit einigen der oben genannten Frauen zusammenführe, und kommt zum
Schluss, dass er selbst bestimmte Frauen als "Helferinnen"
anwerbe. (HL
S.77) Zu diesen zählt er Fräulein Bürstner, die Frau des Gerichtsdieners
und Leni. Neben der Tatsache, dass die Frauen ihm wohl generell entweder
Zugänge zur oder weitere Erkenntnisse über die Gerichtswelt verschaffen
sollen, gibt es kaum Hinweise, welche Hilfe er von ihnen erwartet. So ist
bei der Entlassung Hulds als Verteidiger einmal, im Zusammenhang mit K.s
Strategiewechsel, davon die Rede, dass "die
Frauen [...]Tag für Tag die Beamten überlaufen und sie zwingen (mussten),
[...] K.s Eingabe zu studieren. " (HL
91) Dies deckt sich auch mit K.s Rechtfertigung gegenüber dem
Gefängniskaplan im Dom, der ihm vorwirft, er suche
zuviel fremde Hilfe, insbesondere die von
Frauen. (HL
154) K. hält ihm entgegen: "Die
Frauen haben eine große Macht. Wenn ich einige Frauen, die ich kenne,
dazu bewegen könnte, gemeinschaftlich für mich zu arbeiten, müsste ich
durchdringen. Besonders bei diesem Gericht, das fast nur aus Frauenjägern
besteht. Zeig dem Untersuchungsrichter eine Frau aus der Ferne, und er
überrennt, um nur rechtzeitig hinzukommen, den Gerichtstisch und den
Angeklagten.« (HL
154) Das Verhältnis von Josef K. zu den meisten Frauen ist,
auch wenn sie sich hin und wieder, meist ungefragt, als Ratgeberinnen
betätigen (vgl. z. B. Leni HL
77,
123,
131, ),"vorrangig von Triebimpulsen" bestimmt. (Alt
2008, S.398) Und so bleiben Frauen für K. auch "unbekannte Wesen, deren
menschliche Qualitäten hinter ihrem sexuellen Gebrauchswert und ihrem auf
den Mann gerichteten ökonomischen Sicherheitsbedürfnis zurückbleiben."
(Leich 2003,
S.32) Sie sind für ihn reine "Verfügungsobjekte" (Alt
2008, S.398), im Kern darauf reduziert, seinem kompensierenden Streben
nach "Überlegenheit über andere zur eigenen Ich-Stärkung und
Selbstbestätigung" (Beicken 1999,
S.149) zu dienen. Frauen sind für Josef K. "Produkte von Männerphantasien",
dazu da, sich Männer bedingungslos und ohne Rücksicht auf soziale
Konventionen hinzugeben. (Alt
2008, ebd.) K. s "Trieb zur Ich-Darstellung" (Beicken 1999,
S.149) ist dabei dafür verantwortlich, "sich dem Fräulein aufzudrängen, von
ihr Besitz zu ergreifen. [...] K. ist nicht von Liebesgefühlen getrieben,
etwa in der Begegnung mit der sexuell aufdringlichen Leni, wo er sich passiv
und gehemmt verhält. Hasterers Geliebte Helene widert ihn an. Elsa ist für
ihn vor allem tanzendes Schauobjekt". (ebd.)
Frauen fehlt, wie schon eingangs erwähnt, als Konsequenz
aus der von Kafkas Erzähler fast immer streng durchgehaltenen
personalen Erzählperspektive, jede tiefenpsychologische Motivierung.
Dementsprechend ist der erzählerische Zugang zu ihnen auf die
Außensicht der Figuren beschränkt. "Der Frauenköper, den sein Roman
vorführt, ist", wie
Alt (2008, S. 398) in diesem Zusammenhang formuliert, "ein Körper ohne
psychische Zeichen, der jenseits seines erotischen Codes von differenzierten
seelischen Einflüssen ausgeschlossen bleibt." Zugleich macht er aber auch
deutlich, dass sich die Triebimpulse von Josef K. eben gar nicht primär auf
den weiblichen Körper als solches richten, sondern sehr viel stärker "auf
fetischistische Ersatzobjekte" fixiert sind.
(ebd.) "Mehrfach ist von der weißen Bluse die Rede, die K. im Zimmer
Fräulein Bürstners aufgehängt sieht (HL
11,
20); bei Frau Grubach registriert er gewohnheitsmäßig («wie
so oft» (HL
16) das «Schürzenband».
das «unnötig
tief» in den Körper «einschnitt.»
(HL
16) Während des abendlichen Gesprächs, mit dem er sich für die aufgrund
der Verhaftung vorgefallenen Unannehmlichkeiten entschuldigt,
vergräbt er seine Hände in den Strümpfen, die sie strickt (HL
18). Die Frau des Gerichtsdieners weckt sein Begehren, als sie ihm die
Dessous zeigt, die der Untersuchungsrichter ihr geschenkt hat (HL
44). K.s Geliebte Elsa ist, wie Leni an ihrer Photographie erkennt, «stark
geschnürt» und präsentiert dem Betrachter nach einem «Wirbeltanz»
den «Faltenwurf»
ihres offenbar freizügigen Kostüms (HL
77). Auch die
Ledermontur des Prüglers, die
Schürzen der Mädchen auf der Treppe zu den Gerichtskammern und das kurze
«Röckchen»
der Halbwüchsigen vor Titorellis Atelier (HL
58,
31,
101) bezeichnen erotische Symbole, die anziehende Wirkung auf K.
auszuüben scheinen. Beim Anblick der Frau des Gerichtsdieners durchfährt ihn
die Vorstellung, dass «dieser
üppige gelenkige warme Körper im dunklen Kleid aus grobem schweren Stoff
durchaus nur» ihm «gehörte.»
(HL
45)"
(ebd., Seitenangaben an Ausgabe der HL angepasst, d. Verf.).
Zugleich
lässt sich nicht leugnen, das bestätigen auch
Deleuze/Guattari 1975, nach
Liska 2008, S.63), dass Kafka eine Vorliebe für den Frauentypus
»Schwester-Dienstmädchen-Hure« besitzt, "Frauenfiguren, mit denen eine
intime, gleichberechtigte und sexuelle Beziehung nicht möglich ist."
Liska 2008, S.63) So findet eben auch Josef K. "Animalisches,
Deformiertes, Abseitiges anziehend: die Schwimmhäute an Lenis
Fingern, die sie mit der Tierwelt verbinden; Menschen, die lasterhaft und
verworfen sind wie die Waschfrau im Umgang mit dem Untersuchungsrichter und
dem krummbeinigen Studenten; sogar die »früh verdorbenen« kleinen Mädchen,
die in Titorellis Studio und auf den Treppen davor herumschwirren. Die
Kellnerin Elsa besitzt dieses Element, weil sie ihren Körper verkauft:
Schmutzige Gedanken sind K. nicht fremd; als der Student die Waschfrau zum
Untersuchungsrichter fortträgt und unterwegs streichelt und drückt, malt
sich K. aus, dass er den jungen Mann zu Elsa mitnehmen und ihm dabei zusehen
könnte, wie er sie auf den Knien um ihre Gunst bitten würde. Für keine
dieser Frauen empfindet K. Zuneigung. [...] Fräulein Bürstner ist ein
Sonderfall." (Begley
2008, S.287f,) Von der Hand weisen lässt sich damit auch der von der
feministischen Rezeption des Romans betonte Vorwurf nicht, die kafkasche (Roman-)Welt
gründe auf einer patriarchalischen Ideologie, die die Welt durchgehend männlich
dominiert und von misogynen Werten geprägt sei. "Frauen sind," so die
feministische Sicht, "in Kafkas Welt entweder nebensächlich oder sie werden
verdinglicht und instrumentalisiert. Sie sind darin, wie schon seit jeher,
sexuelle Objekte, um die zwischen Machthabern und ihren Gegenspielern
gefeilscht wird. Die Frauen selbst haben aus dieser Perspektive weder eine
eigene Stimme, noch haben sie aktiven Teil an der ebenso obsessiven wie
vergeblichen Gralssuche der kafkaschen Helden. Sind diese auf der Spur eines
Transzendenten oder Unverfügbaren - ob Gott, Geist oder Literatur selbst -,
so stellen sich die Frauen als reine Körper in ihren Weg und verleiten den
Helden mit ihrem Lockruf, der aus dem gewöhnlichen, angepassten Leben oder
einem mythischen Abgrund stammt." (Liska
2008, S.63)
Betrachtet man abschließend, inwieweit Josef K. einen Vorteil aus der
vermeintlichen Hilfe von Frauen ziehen kann, dann fällt die Bilanz natürlich
ernüchternd aus. Seine Frauenhelferinnen können ihn nicht retten, da er sich
stets mehr mit den äußerlichen Gegebenheiten seines Prozesses, nicht aber
mit sich selbst und seinem ins Innere seiner Seele verlagerten Selbstgericht
beschäftigen kann und will. Daher sind seine Hoffnungen auf ihre Macht
und die "Erwartung des Helden, von Frauen erlöst zu werden" (Liska
2008, S.62) einmal mehr reine Selbsttäuschung, auch wenn "die
traditionelle Rolle der Frau als Retterin der zerrissenen männlichen Seele
[...] damit keineswegs negiert, sondern - in dieser Enttäuschung -
allenfalls bestätigt [wird]." (ebd.,
vgl.
Bödeker 1974) Die einzige Chance, mit Fräulein Bürstner in einer
bürgerlichen Ehe jenseits des auf Status und Konkurrenzverhalten geprägten
Lebensentwurfs Erfüllung zu finden, wird von Josef K. ausgelassen und ist
vielleicht auch der Grund für seine sonst kaum greifbare
Schuld. (vgl.
Beicken 1999,
S.153)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am
23.02.2014
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