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Die familiäre Sozialisation Franz Kafkas

Kindheit und Elternhaus

Franz Kafka (1883-1924) – BiografieEinzelne biografische Aspekte

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur
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»Wikipedia: Franz Kafka

Franz Kafkas Eltern, • Hermann Kafka (1852–1931) und • Julie Löwy (1856–1934), entstammten bürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilien. Der Familienname lässt sich etymologisch vom Namen der Dohle, tschechisch kavka, polnisch kawka, ableiten.

Der Vater stammte aus dem Dorf Wosek in Südböhmen, wo er in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs. In seiner Kindheit war er dazu verpflichtet, die Waren seines Vaters, des Schächters Jakob Kafka (1814–1889), in die umliegenden Dörfer zu liefern. In der Folge war er als reisender Vertreter tätig, bevor er sich als selbstständiger Großhändler für Galanteriewaren in Prag etablierte. Julie Kafka entstammte einer wohlhabenden Familie aus Podiebrad und verfügte über eine umfassendere Bildung als ihr Ehemann. Des Weiteren war sie an den unternehmerischen Entscheidungen ihres Ehepartners beteiligt und arbeitete täglich bis zu zwölf Stunden in dessen Unternehmen.

Neben den Brüdern Georg und Heinrich, die bereits als Kleinkinder verstarben, hatte Franz Kafka (1883-1924) drei Schwestern: Gabriele, genannt »Elli (1889-1942, ermordet im »Vernichtungslager Kulmhof)., Valerie, genannt »Valli (1890-1942, ermordet im »Vernichtungslager Kulmhof), und Ottilie, genannt »Ottla (1892-1943, ermordet im »KZ Auschwitz-Birkenau). Familie lebte in der aufstrebenden Metropole Prag, wo sie entsprechend ihres sozialen Aufstiegs häufig ihre Wohnung wechselte.

Aufgrund der Abwesenheit der Eltern während des Tages erfolgte die Betreuung der Geschwister überwiegend durch weibliches Dienstpersonal, das in regelmäßigen Abständen wechselte.

In der Familie herrschten aus unterschiedlichen Gründen immer wieder Spannungen, besonders zwischen den Kindern und ihrem Vater Hermann. Dieser ist zwar wohl nicht jener Tyrann gewesen, wie er lange Zeit gesehen wurde, aber doch durch die Art und Weise, wie er in der Familie im Umgang mit den Kindern, allen voran mit  seinem Sohn Franz, aber auch mit Elli und Ottla, seine paternalisch-patriarchalische Rolle ausfüllte und auslebte, trug er doch maßgeblich zu dem immer wieder bedrückenden Klima bei, das in der Familie herrschte.

Allerdings hing bei den Kafkas der Haussegen keineswegs immer schief. Vor allem, wenn der Vater, der den Kindern bei Tisch Redeverbot erteilte, mal abends nicht beim gemeinsamen Essen dabei war, dürfte es mit allerlei flapsigen und ironischen Bemerkungen, die besonders Franz so liebte,  ausgesprochen laut und fröhlich zugegangen sein. Aber auch der Familienpatron • Hermann Kafka (1852–1931) selbst konnte durchaus auch einmal Humor zeigen. Nur alberne Späße konnte er wohl nicht ertragen.

Für Alena Wagnerová (22002, S.10) "(waren) Hermann Kafkas (im Grunde genommen) Schimpftiraden und Zornausbrüche ungefährlich und hatten in der Regel auch keine Konsequenzen. Es war seine Art, sich mit der Welt um sich herum, den Ereignissen im Kreise der Familie sowie im politischen und gesellschaftlichen Leben auseinanderzusetzen, sie zu bewältigen." 

So habe er über die Tschechen genauso wie über die Deutschen oder die Juden geschimpft, über die Verwandtschaft mit den gleichen nicht gesuchten Worten wie über die Familienmitglieder, das Personal im Geschäft oder die Dienstboten zu Hause. Offensichtlich hat Hermann Kafka auch seine Kinder recht oft beschimpft, aber kaum je geschlagen - dies bezeugt jedenfalls sein Sohn im Brief an den Vater. Letztlich war er ihnen gegenüber recht großzügig. Wenn auch Hermann Kafka im wahren Sinne des Wortes kein Haustyrann war - er war wortgewaltig, aber nicht gewalttätig -, so übten sein ewiges Nörgeln und seine Wutausbrüche auf die Familie doch Druck aus und bedeuteten für sie eine nicht unerhebliche Belastung. Sie weckten Ängste, und auch dann, wenn man sich daran gewöhnt hatte, waren sie unangenehm. Sie bildeten eine unsichtbare Barriere, die sich jeder Aktivität, jeder Neuigkeit in den Weg stellte. »Wird der Vater nicht schimpfen?« war die erste Reaktion der Kinder, wenn sich in der Familie etwas Unvorhersehbares ereignete oder jemand etwas Neues wollte. Und man versuchte natürlich manches hinter seinem Rücken zu machen. Die Leidtragende war dann oft die Mutter. Andererseits stärkte wiederum das »Hindernis Vater« die Solidarität der Geschwister untereinander.

Die gesellschaftlichen Kontakte der Eltern beschränkten sich im Allgemeinen auf die Angehörigen der eigenen sehr weitverzweigten Verwandtschaft und ein paar wenige Geschäftsfreunde Hermann Kafkas. Die regelmäßige Pflege der verwandtschaftlichen Beziehungen bei Geburtstagen und sonntäglichen gegenseitigen Besuchen gründete dabei auf der jüdischen Tradition, im Zusammenhalt der Familie sich in ihrem immer wieder durch antisemitische Übergriffe gekennzeichneten Leben gegenseitig einen gewissen Schutz zu geben. Möglicherweise war dies auch ein Grund dafür, dass Franz Kafka bis zum Alter von 31 Jahren, als er nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges im Juli 1914 und der Rückkehr der inzwischen verheirateten Schwester »Elli (1889-1942) mit ihren beiden Kindern ins Elternhaus notgedrungen sein Zimmer räumte und zunächst bei seiner seit 1913 verheirateten Schwester »Ottla (1892-1943) unterkommt. In seinem weiteren Leben kehrte Franz, insbesondere zwischen seinen oft sehr langen Kuraufenthalten wegen verschiedener Krankheiten (Spanische Grippe, Tuberkulose) aber immer wieder wieder für längere Zeit in sein Elternhaus zurück.

Ab ungefähr 1900 zog es die Familie Kafka in den Sommermonaten zur gemeinsamen Erholung zunächst in Orten in der näheren Umgebung von Prag, dann mit wachsendem Wohlstand auch mal etwas weiter weg ins Ausland bis an nach Norderney in der Nordsee, wo man sich mit anderen Verwandten traf. Später reisten Julie und Hermann Kafka jahrelang zum Urlaub in den Kurort Franzensbad, was den üblichen Gepflogenheiten im Bürgertum entsprach.

Den ersten Weltkrieg (1914-1919) hat der Kafka-Clan vergleichsweise gut überstanden. Im engeren Familienkreis waren jedenfalls keine Opfer zu beklagen. Die beiden Männer der Töchter »Elli (1889-1942) und »Valli (1890-1942) wurden 1919 aus der Armee wieder in das Zivilleben entlassen und auch »Ottlas (1892-1943) zukünftiger Ehemann, einem christlichen Tschechen, mit dem sie schon seit 1912 ohne Wissen ihrer Eltern zusammen war, kehrte im gleichen Jahr nach Hause zurück. Nachdem Ottla darauf ihre Eltern erstmals über ihre Beziehung zu Josef David informierte, waren die beiden von dem andersgläubigen Tschechen nicht angetan, müssen aber ihre Hochzeit im Juli 1920 mehr oder weniger zähnekirschend akzeptieren.

1918 verkaufte der inzwischen schwer herzkranke • Hermann Kafka (1852–1931)sein Geschäft und erwarb mit dem Verlauferlös ein großes, um die Jahrhundertwende erbautes Mietshaus in der Prager Bílekgasse 4. In dieses Haus zogen dann nach und etliche Mitglieder der Familie, darunter auch die Tochter Elli mit ihrer Familie. Hermann und Julie Kafka wohnten aber weiterhin in ihrer geräumigen Wohnung am Altstädter Ring.

Die Kindheitsentwicklung Franz Kafkas

Die Kindheitsentwicklung von Frantz Kafka stand unter keinem günstigen Stern. Der Tod seiner ihm nachfolgenden Brüder im Kindesalter Georg (1885-87) und Heinrich (1887/88) als er selbst gerade mal vier bzw. fünf Jahre alt war, belastete die vor allem die Mutter sehr und führte während dieser Zeit dazu, dass sich deren Aufmerksamkeit vor allem ihren kranken Kindern zuwandte, während der kleine Franz, der tagsüber, während beide Elternteile bis von morgens bis abends im Galanteriewarengeschäft des Vaters arbeiteten, ohnehin der Obhut wechselnder Dienstmädchen anvertraut. Auch wenn es ihm materiell wohl an nichts fehlte, fühlte er sich wohl von seiner Mutter vernachlässigt und von seinem überstrengen Vater, dem mit ihm der einzige Stammhalter verblieben war, stets überfordert. Als seine drei Schwestern »Elli (1889-1942), »Valli (1890-1942) und »Ottla (1892-1943) innerhalb weniger Jahre die Familie vergrößern, ist Franz schon aus dem Kleinkindalter heraus und nimmt ihnen gegenüber die Rolle des "großen" Bruders ein. Was er von ihnen als Anerkennung erfuhr, blieb ihm vor allem von Seiten seines Vaters, versagt, in dessen Männlichkeitsbild der oftmals kränkelnde, scheu und ängstlich auftretende kleine Junge nicht passte. Hermann Kafka ließ ihn dies immer wieder spüren.

Im Grunde kann man, mit Beicken (1986, S.18), von einer "verfehlten, unheilvollen Eltern-Kind-Beziehung" sprechen. Dabei liege die Schuld nicht einseitig bei den Eltern. Verantwortlich sei  eher "die eigentümliche Mischung aus menschlicher Unzulänglichkeit der Eltern, ihrem gleichsam automatisch ausgeübten Rollenverhalten und der Empfindsamkeit des Sohnes, die für Franz Kafka so verheerende Folgen gehabt habe.( vgl. ebd.)

Selbstredend "litt" Franz Kafka , wie Alena Wagnerová (22002, S.10) formuliert, "an seiner Familie, doch litt die Familie andererseits auch an ihm. Hatte er sich gerade in dem, was ihm im Leben das Wichtigste war, dem Schreiben unverstanden gefühlt, so mußten doch wiederum seine Eltern und insbesondere der Vater seine Weigerung, die mittelständischen Vorstellungen vom gesellschaftlichen Aufstieg und Erfolg zu erfüllen, als eine Enttäuschung erleben."

Die besondere Ausprägung der Eltern-Kind-Beziehung, die die Familie Kafka von kennzeichnet, hat auf die Entwicklung aller Kinder, insbesondere aber auf Franz Kafka eine große Bedeutung. In seinem • Brief an den Vater, den er im Alter von 32 Jahren schreibt, aber niemals seinem Vater übergibt, hat der die Beziehung zu seinem Vater lang und breit thematisiert. Seine Grundgedanken, die er darin äußert, lassen sich mit folgender Strukturskizze veranschaulichen.


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Die obige Darstellung folgt den Ausführungen von Peter Beicken (1986, S. 17f.), der zugleich betont, dass "Kafkas Eltern keine aus den Normen ihrer sozialen Schicht herausfallenden Extrembeispiele" gewesen seien. Dafür sprächen die im Allgemeinen normal verlaufenden Entwicklung seiner Schwestern.

Bei Franz aber, dem ältesten Sohn, hätten die elterlichen Erziehungsmethoden vor allem deshalb versagt, "weil sie in jeder Hinsicht ungeeignet waren für dieses Kind mit seinen besonderen Anlagen und Bedürfnissen, von der hochempfindlichen Natur Franz Kafkas abgesehen."

Beicken (1986, S. 36f.) resümiert über die Kindheitsentwicklung Franz Kafkas:

"ein überaus ängstlicher, scheuer, schamhafter Mensch, der schnell verlegen, unsicher und befangen reagiert, der kontaktarm und isoliert seinen schwächlichen, rheumatischen Körper akzeptieren muss, ausgeliefert einer Welt, der er sich hilflos und verwirrt gegenüber fühlt, auf die er dennoch mit Beobachtungsgabe, sensibel, empfindsam und sogar empfindlich zu antworten weiß, soweit seine Beziehungsängste, seine Gefühle der Minderwertigkeit, der Nichtigkeit, der Schuld es zulassen. Das deutliche Bewusstsein seiner Schwächen, Unzulänglichkeiten, der wirklichen und eingebildeten, und die Gewissheit, völlig unfähig zu sein, allgemeinen Erwartungen und Ansprüchen seinem Gesellschaftsmilieu entsprechend normengerecht genügen zu können, lassen in Kafka kein Ichgefühl, Stärkebewusstsein, Selbstvertrauen aufkommen. Selbst körperliche Gebrechen, Verdauungsbeschwerden, Rheumatismus, Schlaflosigkeit, Lärmempfindlichkeit, Angst vor Mäusen, Nervenerkrankungen, Hypochondrie, die Furcht vor einer Rückgratsverkrümmung, selbst die Entwicklungsstörungen, sexuellen Probleme und Rückstände kindlicher Verhaltensweisen bis hin zum unverhältnismäßig knabenhaften Aussehen im Erwachsenenalter"

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 11.10.2024

   
 

 
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