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Mirene stand an einer Quelle, |
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Bei welcher schöne Veilchen blühn, |
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Und sah um rasche Wasserfälle |
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Die ungezählte Herde ziehn |
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Die zählte sie mit wenig Freude, |
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Und sprach: Kaum dass ich's dulden kann; |
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Bei allen Weibchen, die ich weide, |
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Treff' ich nur einen Widder an |
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Will meine Mutter mich nur hören, |
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Ihr Schafe, so gelob' ich euch, |
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Ich will bald euer Wohl vermehren, |
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Und meines auch vielleicht zugleich |
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Ich kenne schon aus eignem Triebe, |
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Wie ungerecht das Glück verfährt, |
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Wann es der Jugend und der Liebe |
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Die Freiheit und die Wahl verwehrt |
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Nichts auf der Welt ist fast verliebter, |
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Als Damon, der sich mir geweiht: |
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Doch auf der Welt ist nichts betrübter, |
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Als seine trockne Zärtlichkeit |
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Er folgt mir, wo ich geh' und stehe, |
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Und kennet noch nicht meine Brust |
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Ein solches Leben gleicht der Ehe: |
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Allein, ihm fehlt noch ihre Lust |
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Er schneidet in die nahen Linden |
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Wohl zehnmal meines Namens Zug |
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Die Mühe kann mich zwar verbinden, |
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Und ihm scheint auch mein Dank genug |
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Mein Lob erklingt auf seiner Leier; |
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Mich wecket oft sein Saitenspiel: |
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Hingegen wird er nimmer freier, |
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Und ehret mich vielleicht zu viel |
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Ich ehrt' und liebt' ihn selbst vor Zeiten: |
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Das aber that ich als ein Kind |
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Nun wachs' ich auf, und gleiche Leuten, |
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Die klüger und erfahrner sind |
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Wahr ist's: mir hat er sich verschrieben |
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Soll ich daraus die Folge ziehn: |
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Ich müsse Damon ewig lieben, |
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Und keinen lieben, als nur ihn? |
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Will hier ein Schäfer sich erfreuen: |
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(Mich deucht, ich merk' es ziemlich oft,) |
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So führet er mich zu den Reihen, |
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Und tanzt und küsst mich unverhofft |
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Ein einz'ger scheint mir zu gefallen |
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Verräth mir Damon seinen Neid, |
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Ihr Schäfer: ja, so gönn ich allen |
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Den Kuss, den Damon mir verbeut |