Andreas Gryphius
wurde 1616 in »Groß-Glogau,
dem heutigen Głogów, im »schlesischen
»Herzogtum
Glogau geboren. Schon im Alter von 15 Jahren ließ er ein Gedicht
über den »Kindermord
im biblischen Bethlehem drucken. 1638 beginnt er ein Jurastudium im
»niederländischen
Leiden, wo er später akademischer Lehrer wird. 1644 reist er nach
Frankreich, Italien und Straßburg, ehe er 1647 nach Schlesien
zurückkehrt. In Glogau ist er seit 1650 Syndikus der Stände des
Fürstentums Glogau, wobei er in dieser Funktion vor allem die
traditionellen Rechte der Stände gegenüber dem Kaiser vertreten musste.
Die Konflikte, die sich aus diesem spannungsreichen Verhältnis der
Herrschaftsinhaber ergaben, schlugen sich in etlichen Dramen und
Lustspielen nieder, in denen er sich mit zeitgenössischen Fragen
auseinandersetzte, christliche Regenten ermahnte, keine despotische
Herrschaft auszuüben, sich aber auch gegen die Lehre von der
Volkssouveränität und die »englische
Revolution wendet, als er den 1649 hingerichteten »Karl
I. (1600-1649) zu einem christlichen Märtyrer stilisiert. Besonders
seine Lyrik ist von der christlichen Heilslehre geprägt
In seiner Kindheit und Jugend muss Andreas Gryphius schwere
Schicksalsschläge verarbeiten: Sein Vater, ein lutherischer Geistlicher,
stirbt 1621, seine Mutter 1628. Zudem erlebt er die Vertreibung der
Protestanten aus dem Fürstentum, als Schlesien mit militärischer Gewalt
rekatholisiert wird und macht Erfahrungen mit der Pest, die in dieser
Zeit wütet. In Glogau konnte er die Schule nur mit Unterbrechungen
besuchen, ging dann aber 1632 für zwei Jahre in das »polnische
Frauenstadt, heute Wschowa, und von dort 1634 für weitere 2 Jahre an
das Gymnasium in Danzig
(heute: Gdańsk ), wo er zunächst anspruchsvolle Epen in lateinischer
Sprache verfasste. Später schrieb er seine ersten »Sonette
und verfasste »Gelegenheitsdichtung
(Casualcarmina) (z. B. anspruchsvolle Leichenreden). Für seine
dichterische Leistung wurde zum
Poeta Laureatus (= Dichterkrönung) gekrönt. 1662 wurde er als "der
Unsterbliche" in die »"Fruchtbringende
Gesellschaft" aufgenommen.1664 stirbt Andreas Gryphius in Glogau.
Andreas Gryphius (1616-1664)
Tränen des Vaterlands
Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen1
Völker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun2
Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret.
Die Türme stehn in Glut, die Kirch' ist umgekehret.
5
Das Rathaus liegt im Graus3 , die Starken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret.
Hier durch die Schanz und Stadt rinnt
allzeit frisches Blut.
Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut
10
Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen4
.
Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer5
denn die Pest, und Glut und Hungersnot,
Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.6
1 frech: dreist,
unverschämt
2 Karthaun: schweres Geschütz
3 Graus: Staub
4 fließen
5 schlimm
6 wegnehmen