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Aspekte der Erzähltextanalyse

Ausdruckswert des begrifflichen Stils

Johann Wolfgang von Goethe: Wahlverwandtschaften

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Johann Wolfgang von Goethe
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»Die Wahlverwandtschaften (Wikipedia)
» Die Wahlverwandtschaften (Text) (zeno.org)
I. Teil, 12. Kapitel (Text)

Ausdruckwerte der literarischen Stilistik

In der Stilbeschreibung poetischer/literarischer Texte durch ▪ Wilhelm Schneider (1885-1979) sind die sogenannten ▪ Ausdruckswerte die maßgeblichen makrostilistischen Textzeichen auf der zweiten Ebene der Stilbeschreibung. Sie können in gewisser Weise auch als Stilzüge bezeichnet werden.

Für Schneider (1931) sind Goethes »"Wahlverwandtschaften" (1809) "verhältnismäßig begrifflich" (Schneider 1931,  S.31). Mit der ▪ Kategorie des begrifflichen Stils als einem Pol des Ausdruckwertes ▪ begrifflich vs. sinnlich, bezeichnet Schneider mit Gradunterschieden zwischen den beiden Polen (vgl. ebd., S.14) den besonderen Bedeutungsaspekt dieses Stilzuges.

Grundsätzlich kann der Ausdruckswert im Werk eines Autors, aber auch in einem einzelnen Text zwischen den beiden Polen der Kategorie ( begrifflich vs. sinnlich) auch wechseln und sich vermischen. Aber auch  im Zuge der Sprach- und Literaturentwicklung kann der Ausdruckswert eines bestimmten sprachlichen Phänomens einen verschiedenen Charakter annehmen, auch wenn ein bestimmter "Grundwert" (Schneider 1931, S.11) als "Regelwert" (ebd., S.12) auf Konvention beruht.

Die sprachlichen Hauptmerkmale des begrifflichen Stils sind nach Schneider (1931, S.36ff.):

  • Die sprachliche Gestaltung belässt ihren Gegenstand in seiner wirklichen Gegebenheit und spricht in abstrakter Weise von ihm (Ggs. Ausdruckswerte, die wirkliche Gegebenheit umformen);

  • Es ist ein abstrakter und knapper Stil, der Sinnfälliges ins Geistige, das Einmalige und Besondere ins Allgemeine und Typische, das Konkrete ins Abstrakte überträgt (vgl. Schneider 1931, S.36). Damit findet  immer wieder ein "Zusammenziehen sinnlicher Einzelheiten zum Begriff" (ebd., S.38) statt.

  • Es kommen vermehrt abstrakte Substantive auf –ung, –heit, –keit vor,  zudem oft ohne Adjektive

  • Metaphern und direkte Rede kommen nur äußerst selten vor

Der Roman von ▪ Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) beschreibt den "Modelfall einer zerbrechenden Ehe" (ebd.). Man hat den Roman früher auch gerne als "Roman des moralischen Ehebruchs" (Hirsch 1883 , S.120) bezeichnet, weil er "die heiligste Institution der modernen Gesellschaft, die Ehe, als eine in vielfacher Hinsicht zweckwidrige Einrichtung blosszulegen" (ebd.) suche.

Es ist die Geschichte des Barons Eduard und seiner mit ihm ihn zweiter Ehe verheirateten Jugendliebe Charlotte, die auf dem Landgut des Barons in abgeschiedener Zweisamkeit ganz füreinander zu leben beabsichtigen. Durch das Hinzukommen von zwei weiteren Personen, dem Hauptmann Otto, einem Freund des Barons, und Ottilie, der Nichte und Pflegetochter Charlottes, die als häusliche Gehilfin eingestellt wird, "kann das Kräftespiel der Wahlverwandtschaften beginnen." (Eilert 91974, S.212)

Während der Hauptmann und Charlotte ihrer wachsenden Neigung entschlossen entgegenzutreten suchen, gibt sich Eduard seiner unbedingten und maßlosen Liebe zu Ottilie völlig hin." (ebd., S.212) Goethe, der sich auch intensiv mit Naturwissenschaften befasste, bezog sich mit dem Titel seines Romans und der "»chemischen Gleichnisrede«, die er der Figurenkonstellation zugrunde legte" (ebd., S.211) auf den in seiner Zeit in der Chemie üblichen Begriff der Wahlverwandtschaft. Damit bezeichnete man die Eigenschaft bestimmter chemischer Elemente, sich bei der Annäherung anderer Stoffe ganz plötzlich von aus ihren bis dahin bestehenden Verbindungen zu lösen, und mit den "Neuankömmlingen" eine quasi "wahlverwandtschaftliche" Beziehung einzugehen. Indem Goethe "dieses an chemischen Elementen beobachtete Kräftespiel von Anziehung und Abstoßung auf menschliche Verhältnisse" (ebd.) und auf die Wahlverwandtschaften seiner Protagonisten überträgt, geht es ihm darum, "das Problem von Freiheit und Notwendigkeit im sittlichen Bereich darzustellen." (ebd.)

Der begriffliche Stil als Ausdruck der Erzählerhaltung

Dem naturwissenschaftlichen Begriff der Wahlverwandtschaften entsprechend ordnet der Erzähler der "Wahlverwandtschaften" vier Hauptgestalten nicht nur so an, wie es dem chemischen Vorgang der Ablösung bestehender und dem Eingehen neuer Verbindungen der Elemente (Wahlverwandtschaften) entspricht, sondern nimmt auch gegenüber den Einstellungen und Reaktionen der Figuren eine "beobachtende, fast distanzierte Haltung eines Naturforschers ein" ((ebd.), was das dargestellte Geschehen "nicht psychologisch, sondern nur symbolisch (...) verstehen" (ebd.) lässt.

Dieser Befund lässt sich auch durch die Stilanalyse erhärten, die Schneider (1931, S.31-36) am Beispiel des 12. Kapitels des ersten Teils vornimmt und dabei die Hauptmerkmale des begrifflichen Stils mit entsprechenden Textstellen belegt und kommentiert.

  1. So findet er in diesem einen Kapitel "nicht weniger als 32 abstrakte Substantive auf –ung vor, deren auf –heit und -keit sind auch nicht wenige." (ebd., S.34, Hervorh. d. Verf.). Dabei werden z. B. Empfindungen der Figuren "ein begrifflich ausgesprochen." (ebd., S.35).

    Am Beispiel des Kapitelbeginns und des Kapitelendes wird dies besonders deutlich:

    • (Kapitelbeginn)
      "Als die Gesellschaft zum Frühstück wieder zusammenkam, hätte ein aufmerksamer Beobachter an dem Betragen der einzelnen die Verschiedenheit der innern Gesinnungen und Empfindungen abnehmen können. Der Graf und die Baronesse begegneten sich mit dem heitern Behagen, das ein Paar Liebende empfinden, die sich nach erduldeter Trennung ihrer wechselseitigen Neigung abermals versichert halten."

    • (Kapitelende)
      "Immer gewohnt, sich ihrer selbst bewusst zu sein, sich selbst zu gebieten, ward es ihr auch jetzt nicht schwer, durch ernste Betrachtung sich dem erwünschten Gleichgewichte zu nähern; ja sie musste über sich selbst lächeln, indem sie des wunderlichen Nachtbesuches gedachte. Doch schnell ergriff sie eine seltsame Ahnung, ein freudig bängliches Erzittern, das in fromme Wünsche und Hoffnungen sich auflöste. Gerührt kniete sie nieder, sie wiederholte den Schwur, den sie Eduarden vor dem Altar getan. Freundschaft, Neigung, Entsagen gingen vor ihr in heitern Bildern vorüber. Sie fühlte sich innerlich wiederhergestellt. Bald ergreift sie eine süße Müdigkeit und ruhig schläft sie ein." (Hervorh. der abstrakten Substantive, d. Verf., vgl. (ebd., S.34f.)

      "Immer gewohnt" klinge dazu wie eine "zusammenfassende Inhaltsangabe" (ebd., S.35)

  2. Adjektivattribute, die einen sinnlichen Ausdruckwert haben, fehlen bis auf die Ausnahme von dreien: "von einigen alten Eichbäumen", "mit einer zarten weiblichen Hand", "der über den Wasserspiegel hinschauernde Windhauch"

  3. Was den Sinnen zugänglich wäre, wird ins Geistige, das Konkrete ins Abstrakte und vor allem das Besondere ins Allgemeine und Typische gewendet

    "dagegen Charlotte und Eduard gleichsam beschämt und reuig dem Hauptmann und Ottilien entgegentraten. Denn so ist die Liebe beschaffen, dass sie allein recht zu haben glaubt und alle anderen Rechte vor ihr verschwinden."

  4. kein einziger Vergleich und keine Metapher

  5. keine individuelle Färbung der Sprechweise der Figuren

  6. direkte Rede kommt nur insoweit vor, als damit wesentliche Punkte bzw. der Gedankenkern aus dem Gespräch hervorgehoben werden kann; ansonsten Redebericht:

    "Eduard, liebevoll aufgeregt, sprach gut von einem jeden, immer schonend, oft billigend. Charlotte, die nicht durchaus seiner Meinung war, bemerkte diese Stimmung und scherzte mit ihm, dass er, der sonst über die scheidende Gesellschaft immer das strengste Zungengericht ergehen lasse, heute so mild und nachsichtig sei.
    Mit Feuer und herzlicher Überzeugung rief Eduard: »Man muss nur Ein Wesen recht von Grund aus lieben, da kommen einem die übrigen alle liebenswürdig vor!« Ottilie schlug die Augen nieder, und Charlotte sah vor sich hin."

    oder auch: Verkürzung und Verbegrifflichung der Rede

    "Zu den Entschuldigungen eines längeren Außenbleibens lächelte Eduard heimlich. ›O wie viel zu früh kommt ihr!‹ sagte er zu sich selbst."

    »Die Wahlverwandtschaften (Wikipedia)
    » Die Wahlverwandtschaften (Text) (zeno.org)
    I. Teil, 12. Kapitel (Text)

    Ausdruckwerte der literarischen Stilistik

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 17.01.2024, an die moderne Rechtschreibung behutsam angepasst

 
 

 
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