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Freytag:
Die Technik des Dramas
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Die
Komposition der Fabel im Drama der geschlossenen Form
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Baustein: Die Entwicklung Alfred Ills - Der Spannungsbogen der
"Privathandlung" herausarbeiten
Die Entwicklung Alfred Ills und der
Güllener Bürger
Der ▪ Handlungsverlauf
in Friedrich Dürrenmatts Drama "Der
Besuch der alten Dame" kann als ein ▪
in zwei unterschiedlichen
Handlungssträngen verlaufender Prozess aufgefasst werden. (vgl.
Wahl 2009, S.86).
Die beiden Handlungsstränge laufen anfangs parallel
zueinander, weichen aber im Verlauf der dramatischen Handlung immer mehr
voneinander ab.
Mit ihrem
vermeintlich "guten Ende" - die Güllener erhalten nach Erledigung des
Mordauftrags an ▪ Alfred Ill die von
▪
Claire Zachanassian versprochenen
Milliarden konstituiert sich, wie
Wahl (2009,
S.88) betont, "zumindest vordergründig" eine
Komödienhandlung. Dass das Happy End mehr als "klemmt",
tut dabei also wenig zur Sache.
-
Der zweite Handlungsstrang, der Alfred Ills Entwicklung zu einem "mutigen
Menschen" (Dürrenmatt, Theater-Schriften, S.123) darstellt, endet als
"Privathandlung" (Wahl
2009, S.88) in der Katastrophe, der Ermordung Alfred Ills durch das
Güllener Kollektiv.
Beide Handlungsstränge sind natürlich in vielfältiger Hinsicht
miteinander verwoben und aufeinander bezogen. Während indessen Ill durch das
Angebot Claire Zachanassians in der Angst um das eigene Leben zu einer
"Bewusstwerdung seiner selbst" (Mayer
51991, S.57) gelangt, macht er aus der "vorherrschenden
Komödienstruktur des Güllener Welttheaters" (ebd.)
eine "tragische Komödie".
Im Gegensatz zu der von
Mayer (51991,
S.57) vertretenen Auffassung, dass "Ill als Beispiel des 'mutigen
Menschen' [...] eine letztlich unbefriedigende tragische Enklave"
darin ist, sehen wir im Anschluss an
Wahl (2009,
S.86ff.) darin zwei unterschiedliche Handlungsstränge, welche die besondere
Struktur dieser tragischen Komödie ausmachen.

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Vorgeschichte zur Entwicklung Alfred Ills
-
Alfred Ill (knapp unter 20 Jahre alt) und Klara Wäscher (17 Jahre
alt) sind ein Liebespaar. (um 1908).
-
Klara
Wäscher erwartet ein Kind von Ill. (▪
Die
Liebesbeziehung zwischen Alfred Ill und Klara Wäscher 1910)
-
Alfred Ill lässt Klara sitzen und wird in einem von Klara
angestrengten Vaterschaftsprozess mit Hilfe Zeugen, die er zuvor
bestochen hat, freigesprochen. Klara verlässt die Stadt und bringt ein
Mädchen zur Welt, das bald nach der Geburt verstirbt.
-
Alfred Ill heiratet Mathilde Blumhard und übernimmt den
Lebensmittelladen in Güllen. Mit ihr hat er einen Sohn und eine Tochter.
Vorgeschichte zur Entwicklung des Güllener Kollektivs
- Das ehemals durchaus prosperierende Städtchen Güllen wird ohne
Wissen seiner Bewohner durch Finanzaktionen Claire Zachanassians in
den finanziellen Ruin getrieben. Die Kommune und ihre Einwohner
befinden sich in einer prekären Lage.
Die Entwicklung Alfred Ills |
Die Entwicklung des Güllener
Kollektivs |
1
▪ Alfred Ill ist für die missglückte Begrüßung
▪ Claire
Zachanassians in Güllen in hohem Maße mitverantwortlich.
Er hat die Güllener nämlich in ihrem Glauben bestärkt,
seine Beziehung zu Klara Wäscher/Claire Zachanassian sei
noch immer intakt und für das Erlangen der allseits
erwarteten Zuwendungen der Milliardärin in höchstem Maße
förderlich. Sein Glaube, an die ehemals bestehende
Liebesbeziehung zwischen ihm und Klara anzuknüpfen, ist
nicht nur trügerisch, sondern zeigt, in welchem Maße es
ihm gelungen ist und noch immer gelingt, sein moralisch
skrupelloses Verhalten gegenüber Klara vor 45 Jahren zu
verdrängen. So zeigt er sich in Erwartung der
Milliardärin verblendet, taktierend und dazu noch in
besonderem Maße eitel, weil sich die Hoffnungen aller
Bürger des Städtchens auf ihn richten. |
1
Die feierliche offizielle Begrüßung der heimgekehrten
Klara Wäscher alias Claire Zachanassian und ihrer
Begleitung geht gründlich daneben. Alles, was sich die
Güllener ausgedacht haben, um die Milliardärin von
Anfang für sich einzunehmen, geht schief. Der Gesang des
Chores geht im Zuglärm und die mit auf Unwahrheiten
beruhenden Schmeicheleien des Bürgermeisters in seiner
Begrüßungsrede verfehlen klar ihr Ziel. Alfred Ill
versucht durch Herstellen einer privaten Ebene zwischen
ihm und Klara/Claire die Situation zu retten, muss aber
schnell erkennen, dass Claire die Kommunikation auch mit
ihm eindeutig aus einer dominanten Position heraus
gestaltet. |
2
Auf die Milliardenofferte von Claire Zachanassians an
Güllen für die Ermordung Alfred Ills
(erregendes Moment) reagiert Ill zunächst einmal mit
Unverständnis. Er wiegelt ab, spricht von Verjährung und
erkennt keine moralische Schuld an, zumal juristisch
gesehen, zumindest der äußeren Form nach, die Klage
Klaras im Vaterschaftsprozess vor 45 Jahren, formal
gesehen, juristisch korrekt abgewiesen worden war. Die
Bestechung der Zeugen, die er seinerzeit vorgenommen,
und die er zum Meineid verleitet hatte, um ungeschoren
davonzukommen, erscheint ihm auch im Nachhinein weder
moralisch noch juristisch gesehen verwerflich. Alfred
Ill sieht in sich keinen kriminellen Täter und keinen
Anlass, die alte Geschichte noch einmal aufzuwärmen.
|
2
Als Claire den Güllenern ihr Angebot, der Stadt und den
Bürgern eine Milliarde zukommen zu lassen, unterbreitet,
jubeln diese los. Die Bedingung der Milliardärin, sie
wolle sich aber dafür im Nachhinein die Gerechtigkeit
erkaufen und fordere dafür den Tod Alfred Ills, lässt
den Jubel schnell ersterben.
|
3
Noch vertraut II auf die sozialen Beziehungen im
Städtchen, als dessen erster Repräsentant, der
Bürgermeister, das Angebot Claire Zachanassians
entrüstet zurückweist. |
3
Im Namen aller Einwohner des Städtchens lehnt der
Bürgermeister das Angebot Claire Zachanassians ab.
Claire Z. erklärt, sie werde warten.
|
4
Anfangs vertraut ▪ Alfred
Ill auf die Solidaritätsbekundungen der
Güllener und gerät angesichts des Angebots von ▪
Claire
Zachanassian an
die Güllener keineswegs in Panik. Dennoch scheint ihm
die Sache so weit im Kopf herumzugehen, dass er
das Verhalten seiner Mitbürger und Mitbürgerinnen in der
nächsten Zeit genauer unter die Lupe nimmt, die mit
ihrem beginnenden Konsum auf Kredit mit dem kommenden
Wohlstand zu spekulieren beginnen. Mehr und mehr gelangt
er bei seinen Beobachtungen zur Erkenntnis, dass sich
ausnahmslos alle Güllener, einschließlich seiner
Familie, allmählich korrumpieren lassen und ihm die
Unterstützung versagen. Als er schließlich flüchten
will, wird dies von den Güllenern gemeinsam vereitelt.
So kommt Ill zur Erkenntnis, dass er verloren ist. (Peripetie) |
4
Die Güllener beginnen damit, sich auf Pump Luxusgüter zu
kaufen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass sie
damit auf den Tod bzw. die Ermordung Alfred Ills
spekulieren. Zugleich verweigern die Güllener Amtsträger
Ill ihre Unterstützung. Allmählich deutet sich auch ein
Stimmungsumschwung zugunsten Claire Zachanassians an,
für deren Vorgehen insbesondere der Bürgermeister,
stellvertretend für die restlichen Güllener mehr und
mehr Verständnis gewinnt, indem er von Ills
(ungesühnten) Verbrechen zu sprechen beginnt. Mit ihrem
gemeinsamen Auftreten am Bahnhof verhindern die Güllener
Ills Flucht und räumen damit eine potentielle Gefahr für
ihr materielles Glück, die Milliarde für den Tod Ills,
aus dem Weg. |
5
▪ Alfred Ill erkennt seine Schuld an und will nicht mehr
weiterkämpfen. Er verhindert sogar selbst, dass die Wahrheit vom
Lehrer der Öffentlichkeit über die Presse publik gemacht wird.
Die Aufforderung, Selbstmord zu begehen, lehnt er allerdings ab. |
5
Die Güllener geben sich immer ungenierter dem Konsum auf Pump
hin, kaufen sich Luxusgüter aller Art. Zugleich wächst das
Bewusstsein, dass sie, nachdem ▪ Claire
Zachanassian einen anderen
Weg zu den versprochenen Millionen zu kommen, kategorisch
ablehnt, den von der Milliardärin geforderten Prozess gegen Ill
durchführen müssen. |
6
Alfred Ill nimmt von seiner eigenen Familie, die sich ebenso wie
alle anderen in Güllen haben korrumpieren lassen, Abschied, Im
Konradsweilerwald kann Ill sich im Gespräch mit Claire Z. seiner
Vergangenheit stellen. (retardierendes
Moment) |
|
7
In der Gemeindeversammlung erklärt sich Ill bereit, deren
Richterspruch anzunehmen. In einer von den Güllenern gebildeten
Menschengasse wird Ill nach dem Schuldspruch von den Güllenern
gemeinsam umgebracht. Seinen Leichnam will Claire Z. nach Capri
überführen lassen. |
6
In der Gemeindeversammlung wird Ill zum Tode verurteilt, die
Abstimmung darüber als eine wohltätige Stiftung getarnt und in
Pervertierung humanistischer Ideale wird der kollektiv
vollzogene Mord an Ill als Ausdruck der sittlichen Läuterung des
Güllener Gemeinwesens gefeiert. Für die Güllener endet das
Ganze als "Welt-Happy-End", mit den von Claire Z. ihnen für den
Mord an Ill nun zufließenden Millionen. |
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.03.2022
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