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Text 1:
Den Bereich der Haltungen, welche die Figuren zueinander einnehmen,
nenn wir den gestischen Bereich. Körperhaltung, Tonfall und
Gesichtsausdruck sind von einem gesellschaftlichen Gestus bestimmt: die
Figuren beschimpfen, komplimentieren, belehren einander usw. Zu den
Haltungen, eingenommen von Menschen zu Menschen, gehören selbst die
anscheinend ganz privaten, wie die Äußerungen des körperlichen Schmerzes
in der Krankheit oder die religiösen. Diese gestischen Äußerungen sind
meist recht kompliziert und widerspruchsvoll, so dass sie sich mit einem
einzigen Wort nicht wiedergeben lassen [...] (Kleines Organon für das
Theater, 61)
Text 2:
"Wir sprechen ferner von einem Gestus. Darunter verstehen wir einen
ganzen Komplex einzelner Gesten der verschiedensten Art zusammen mit
Äußerungen, welcher einem absonderen Vorgang unter Menschen zugrunde liegt
und die Gesamthaltung aller an diesem Vorgang Beteiligten betrifft
(Verurteilung eines Menschen durch einen anderen Menschen, eine Beratung,
einen Kampf und so weiter) oder einen Komplex von Gesten und Äußerungen,
welcher, bei einem einzelnen Menschen auftretend, gewisse Vorgänge
auslöst… Ein Gestus bezeichnet die Beziehungen von Menschen zueinander."Gestik,
in: Brecht, Über den Beruf des Schauspielers, Frankfurt/M. 1970, S.92)
Text 3:
"Gestisch ist eine Sprache, wenn sie auf dem Gestus beruht, bestimmte
Haltungen des Menschen anzeigt, die dieser anderen Menschen gegenüber
einnimmt […].
Nicht jeder Gestus ist ein gesellschaftlicher Gestus. Die Abwehrhaltung
gegen eine Fliege ist zunächst kein gesellschaftlicher Gestus, die
Abwehrhaltung gegen einen Hund kann einer sein, wenn zum Beispiel durch
ihn der Kampf, den ein schlecht gekleideter Mensch zu führen hat, zum
Ausdruck kommt. […]
Der gesellschaftliche Gestus ist der für die Gesellschaft relevante
Gestus, der Gestus, der auf die gesellschaftlichen Zustände Schlüsse
zulässt."
( Brecht,
Kleines Organon für das Theater, 61)
Text
4:
"Über die gestische Sprache in der Literatur Me-ti sagte: Der
Dichter Kin-je darf sich für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, die
Sprache der Literatur erneuert zu haben. Er fand zwei Sprachweisen vor:
Eine stilisierte, welche gespreizt und geschrieben klang und nirgends im
Volk, bei der Erledigung der Geschäfte oder bei anderen Gelegenheiten
gesprochen wurde, und eine überall gesprochene, welche eine bloße
Imitation des alltäglichen Sprechens und Redens und nicht stilisiert war.
Er wandte eine Sprachweise an, die zugleich stilisiert und natürlich war.
Dies erreichte er, indem er auf die Haltungen achtete, die den Sätzen
zugrunde liegen: Er brachte nur Haltungen in Sätze und ließ durch die
Sätze die Haltungen immer wieder durchscheinen. Eine solche Sprache nannte
er gestisch, weil sie nur Ausdruck für Gesten der Menschen war [...]. Der
Dichter Kin erkannte die Sprache als ein Werkzeug des Handelns und wusste,
dass einer auch dann mit anderen spricht, wenn er mit sich spricht." (Über
die gestische Sprache in der Literatur. Me-ti. Buch der Wendungen,
Bibliothek Suhrkamp 228, 1969, S.46f.)