In der ▪
Kurzgeschichte ▪ »Die
traurigen Geranien«
von ▪
Wolfgang Borchert,
erschienen 1949
in "Das Gesamtwerk" (Hamburg: Rowohlt 1949, S. 337 - 339) geht es
um den Stellenwert äußerer und innerer Werte bei der Partnerwahl.
Erzählt wird von der Begegnung eines Mannes und einer Frau, bei der der
Mann feststellt, dass die ungewöhnlich aussehende Nase der Frau so
abstößt, dass er die Versuche der Frau bei ihrer Selbstdarstellung auf
andere, vor allem innere Werte abzuheben, ignoriert und die gerade erst
aufkeimende Beziehung abrupt beendet.
Ein namentlich nicht bezeichnetes Paar hat sich vor einiger Zeit, als es
dunkel gewesen ist, kennengelernt und verabredet, dass der Mann die Frau
in ihrer Wohnung besucht. Nach seinem Eintreffen zeigt die Frau dem Mann
ihre Wohnung und einige Haushaltsgegenstände, die sie besitzt, wie z. B.
Tischtücher, Bettbezüge, ihr Geschirr und Besteck.
Als sie sich dann zum ersten Mal im Tageslicht gegenübersitzen, sieht
der Mann, dass die Frau eine auffällig geformte Nase hat, die ihm wie
angenäht erscheint und deren Nasenlöcher ihm völlig unsymmetrisch und
unharmonisch angeordnet vorkommen. Er zeigt sich schockiert darüber und
tupft sich den Schweiß von der Stirn.
Als die Frau dies bemerkt, kommt sie darauf zu sprechen, indem sie sein
Schwitzen auf die Wärme in der Wohnung zurückführt. Der Mann pflichtet
dem bei, ist aber in seinen Gedanken weiterhin damit beschäftigt, sich
die mit der Nase und den Nasenlöchern der Frau zu beschäftigen. Zuletzt
kommt er dabei sogar auf die Idee, dass ihre ungewöhnliche Erscheinung
vielleicht Ausdruck einer neuartigen Harmonie sein könne, die ihm von
Gemälden Pablo Picassos bekannt sind.
Als er völlig unvermittelt den Gedanken ausspricht und die Frau fragt,
ob sie nicht auch meine, dass Picasso auf dem richtigen Weg sei,
versteht sie die Frage nicht und kann auch mit dem Namen nichts
anfangen.
Enttäuscht darüber spricht der Mann dann ohne weitere Umschweife, aber
ohne die Nase und die Nasenlöcher zu erwähnen, was ihn umtreibt und will
wissen, ob die Frau irgendwann einen Unfall gehabt habe.
Als die Frau erkennt, worum es ihm geht, geht sie geduldig darauf ein
und erklärt, dass ihre Nase immer so gewesen sei, wie sie jetzt ist. Sie
erklärt dem Mann, trotzdem ein ausgesprochen harmonischer Mensch sei mit
einer großen Vorliebe für Symmetrie, was zum Beispiel ihre beiden
Geranien am Fenster zeigten, die sie bewusst rechts und links
symmetrisch aufgestellt habe. Sie betont, während sie dem Mann die Hand
auf dessen Knie legt, ohne ihre Nase direkt zu erwähnen, dass sie
innerlich ganz anders sei. Der Mann fühlt sich jedoch bedrängt.
Als die Frau darauf hin ihre Geste mit dem Hinweis unterstreicht, dass
sie sich durchaus auch eine Heirat vorstellen könne, will der Mann
spontan wissen, ob sie das wegen ihres Wunsches nach Symmetrie anstrebe.
Als die Frau sich verbessert und statt von Symmetrie von Harmonie
spricht, bricht der Mann die weitere Unterhaltung ab, steht zum
Erstaunen der Frau auf. An der Wohnungstüre bringt die Frau ein letztes
Mal vor, dass sie innerlich wirklich ganz anders sei. Doch der Mann geht
mit der laut gesprochenen Bemerkung, dass sie wohl sagen wolle, sie sei
innerlich wie die Geranien eigentlich symmetrisch davon, ohne sich noch
einmal umzusehen.
Unten vor der Haustüre sieht die Frau, die ihm vom (Geranien-)Fenster
nachsieht, wie er sich mehrfach den Schweiß von der Stirn tupft, kann
aber nicht sehen, dass ihm dabei ein erleichtertes Grinsen im Gesicht
steht, weil ihr die Tränen in den Augen stehen, ein Gefühl der Trauer
und Enttäuschung, das auch die Geranien teilen, die jetzt irgendwie
einen traurigen Geruch verströmen.