In der Kurzgeschichte
▪
»Brief aus
Amerika« von ▪ Johannes
Bobrowski, erschienen in »Boehlendorf und andere
Erzählungen«, Stuttgart
1965, S. 70ff., geht es um das Verhältnis
der Generationen. Erzählt wird, wie eine allein lebende alte Frau in
ihrer Enttäuschung darüber, dass ihr nach Amerika ausgewanderter
Sohn in einem Brief mitgeteilt hat, sie nicht zu besuchen, sich von
der prallen Sonne die Unterarme verbrennen lassen will und dann im
Ofen den Brief und ein Foto ihres Sohnes und seiner Frau in Flammen aufgehen
lässt.
Die alte, verwitwete und allein lebende Erdmuthe Gauptate hat einen
Brief ihres nach Amerika ausgewanderten Sohnes Jons erhalten. Darin
erklärt er ihr, dass seine Frau Alice und er nicht zu Besuch kommen
werden. Vor allem Alice habe ihm, der es selbst wohl gerne getan
hätte, klargemacht, dass sein Leben nun in Amerika sei und ihr Vater
ihm ein gut florierendes Geschäft überschrieben habe. Zudem habe
seine Mutter die Einladung, nach Amerika zu kommen, nicht
angenommen, weil sie der Ansicht sei, dass wenigstens einer aus der
Familie dort bleiben müsse, wo auch ihr Mann Annus, der offenbar
unlängst verstorben ist, begraben ist.
Der Brief, der offenbar noch mehr enthält, liegt im Haus der
alten Frau, das offenbar ein Bauernhaus ist, in der Stube auf dem Tisch, während sie in ihrem Garten in der prallen
Mittagssonne sich tanzend um ein Apfelbäumchen dreht. Sie hat die
Ärmel ihrer Bluse, dessen Stoff sie einmal als Geschenk ihres Sohnes
aus Amerika bekommen hat, hinaufgeschoben und will sich die weiße
Haut ihrer Unterarme, die ihr Mann einstmals so schön gefunden und
von denen er die ganzen dreißig Jahre, die sie zusammen waren,
geschwärmt hat, von der Sonne verbrennen lassen. Während sie tanzt,
singt sie immer wieder, dass die liebe Sonne sie brennen soll.
Als sie in die Stube zurückkehrt, nimmt sie den Brief, faltet ihn
und bringt ihn zum Herd in der Küche. Danach holt sie auch eine
Fotografie, die ihren Sohn und seine Frau in Amerika zeigt, schreibt
auf deren Rückseite die beiden Sätze, das sei ihr Sohn Jons und das
sei ihre Tochter Alice. Darunter setzt sie noch ihren Vornamen,
Namen und Geburtsnamen und zupft ihre vorher hinaufgeschobenen Ärmel wieder
herunter.
Während sie dann mit dem Foto in die Küche geht, gehen ihr Gedanken an
ihren verstorbenen Mann durch den Kopf, die Äußerung ihres Sohnes im
Brief, der Mensch sei jung oder alt, und ihre Situation im
fortschreitenden Alter, indem man kaum Schlaf finde und nur noch
einen sehr begrenzten Aktionsradius habe. Dann legt sie die
Fotografie und den zusammengefalteten Brief auf den Herd und
deponiert Streichhölzer daneben. Sie geht hinaus, um Holz zu holen
und spricht dabei vor sich hin, sie würden nun die Milch aufkochen.