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Komplexe Lese- und Rezeptionsstrategien
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Überblick
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Organisationsstrategien
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Thema-Rhema-Strategie
Um das
"semantische Miteinander-Verflochtensein von Einzelsätzen" (Heinemann/Heinemann
2002, S.70) und damit um die ▪
thematischen Bedingungen der
Textkohärenz geht es auch bei dem auf die sogenannte
»Prager Schule, einem Kreis von Vertretern der »funktional-strukturalistischen
Linguistik in der
Tschechoslowakei, zurückgehenden Ansatz.
Im Gegensatz zu
textbezogenen Themadefinitionen und Themaauffassungen, die sich
auf die thematische Funktion von ganzen Texten bzw.
Textabschnitten beziehen geht es hier um die funktionale
Beschreibung der Struktur einzelner Sätze. Dementsprechend wird
sie im Allgemeinen auch
nur auf
kleinere Textabschnitte angewendet.
Ihrem
grammatisch-funktionalen Konzept der Funktionalen
Satzperspektive (FSP) nach "(erfolgt) die Verteilung von
Informationen im Satz keineswegs beliebig und regellos (...),
sondern (ist) abhängig von der jeweiligen Perspektive des
Sprechers." (ebd.)
Ein Satz
enthält dabei, strukturell gesehen, zwei verschiedene
Informationen: Zum einen sagt er etwas über etwas
aus, zum anderen sagt er darüber etwas aus.
Klingt
vielleicht zunächst etwas verwirrend, ist aber letzten Endes
vergleichsweise simpel. Ein Satz besteht aus einem Thema
(T) - das, worüber etwas ausgesagt wird (Satzgegenstand) - und einem
Rhema (R) - das, was darüber gesagt wird (Satzaussage). Darin
besteht sein "Mitteilungswert" in der Kommunikation. (Brinker
92018, S.47)
Beispiele:
Um sich die
Thema-Rhema-Gliederung zu verdeutlichen kann man auf den
sogenannten Fragetest zurückgreifen. Dann fragt man nach
dem Thema ergibt sich als Antwort das Rhema:
Um gleiche oder
zumindest ähnliche Phänomene auszudrücken, werden statt Thema
und Rhema auch Begriffspaare wie
Topik und Kommentierung
(topic - comment) oder auch
Hintergrund und Fokus
verwendet.
Der Begriff des
Themas ist aber hier nicht zu verwechseln mit dem ▪
Alltagsbegriff und der
daran orientierten Verwendung als "Kern des Textinhalts" (Brinker
92018, S.53 ), der "den auf einen oder mehrere Gegenstände (d. h.
Personen, Sachverhalte, Ereignisse, Handlungen, Vorstellungen
usw.) bezogenen Gedankengang eines Textes" (ebd.)
bezeichnet.
Zudem ist der
in der Thema-Rhema-Gliederung verwendete Begriff des Themas
nicht gleichzusetzen mit dem Themabegriff in dem semantisch und
kognitionspsychologisch fundierten, an die Unterscheidung von
Oberflächen- und Tiefenstruktur der »Generativen
Transformationsgrammatik anschließenden Makro- und
Superstrukturkonzept von
Teun A. van
Dijk (1980).
Das Thema als bekannte Größe
Das Thema ist
hier dagegen eine bestimmte Größe in einem Satz, die in der »Thema-Rhema-Gliederung
(TRG) als Satzstruktur eine bestimmte Funktion besitzt. Sie
soll angeben, worum es eigentlich geht. In der Regel ist auch
davon auszugehen, dass das, was im Thema ausgesagt wird, unter
den Sprachverwender*innen als unstrittig gilt, zumindest vom
Sprecher beim Vollzug der Äußerung als unstrittig angesehen
wird, weil er annimmt, dass es auf einem gemeinsamen Wissen
darüber beruht.
Das Thema ist
also gewöhnlich das, was schon bekannt ist, vorher schon erwähnt
wurde oder sich als etwas Bekanntes aus dem Kontext ergibt.
Der
"Mitteilungswert" des Themas ist daher auch für sich allein betrachtet,
vergleichweise gering. Ob etwas für den Verfasser eines Textes/
den Sprecher einer Äußerung und für den Leser/Rezipienten oder
Hörer im Sinne eines von beiden Seiten gleichermaßen geteilten
Wissens bekannt ist, ist für die Person, die den Satz
"produziert" unter pragmatischer, d. h. kommunikativer
Perspektive, aber stets eine
Annahme über
den gemeinsamen Wissensstand.
Der unterschiedliche Bekanntheitsgrad des Themas
So kann man
nach der Typologie der Bekanntheit (giveness) von »Ellen
F. Prince (1944-2010) (1981)
den Bekanntheitsgrad einer Information nach verschiedenen
Kriterien unterscheiden.
Ein paar wenige Bemerkungen über die
angenommene Bekanntheit (Assumed Familiarity) müssen hier
genügen, um zu zeigen, dass ein Thema auch in der
Thema-Rhema-Struktur einen unterschiedlichen (angenommenen) Bekanntheitsgrad
haben kann.
-
Sie kann,
wenn sie neu (new) ist, kann sie brandneu
(brand-new) sein. Das ist der Fall, wenn jemand noch etwas
davon gehört hat, worauf sich die sprachliche Äußerung als
Referent bezieht, Sie kann aber auch bis dahin in einem
schriftlichen Text oder einer mündlichen Äußerung noch nicht
erwähnt worden sein, und damit ungebraucht (unused)
sein.
-
Eine
Information kann auch dadurch bekannt sein, weil ihr
Sprecher in einem Gespräch einfach zugegegen ist (situationally
evoked) oder weil die Information in einem Gespräch oder
Text schon einmal erwähnt worden ist (textually evoked).
-
Aber selbst
wenn weder solche kontextuellen und situativen
Voraussetzungen für die Bekanntheit der Information gegeben
sind, kann ein Referent doch bekannt sein. In einem solchen
Fall ist sie logisch oder natürlich erschließ- bzw.
ableitbar (inferrable).
Das kann einfach dadurch geschehen,
dass die neue Information im Rahmen der Äußerung selbst
"bekannt" gemacht wird (containing inferrable), wie
es z. B.
bei dem Ausdruck "das Tor der Bastille" der Fall ist. Hier
wird die neue Information "Tor" (Referent) als
Bestandteil des Konzeptes der bereits eingeführten "altbekannten"
Information "Bastille" in die Kommunikation eingebracht.
Nur wer mit Bastille nichts anfangen kann, ist
natürlich aufgeschmissen oder muss, wenn dies möglich ist,
z. B. nachfragen.
Trotzdem, wenn das
Thema in einer Äußerung allein steht, ist es meistens recht uninformativ. (z.
B. "Konstanz", "der Vogel") und widerspricht damit auch den
»Konversationsmaximen
von »Paul
Grice (1914-1988.
Die »Thema-Rhema-Gliederung
(TRG) von versteht jedenfalls unter dem Thema die dem Hörer/Leser schon bekannte
Information:
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Das Rhema als neue Information über das Thema
Man hat das Rhema
"als den 'Kern der
Aussage'" (Brinker
92018, S.47 unter Bezugnahme auf »Vilém
Mathesius (1882-1945) (1929)
Und »František
Daneš (1919-2015) (1970)
bezeichnet und versteht entsprechend der eingangs gegebenen
Erklärung das, was über das Thema ausgesagt wird und
damit "-
kontextuell gesehen - die nie neue, nicht vorher erwähnte und
nicht aus dem Text- bzw. Situationszusammenhang ableitbare
Information." (ebd.)
Thematische Progression
Die
Thema-Rhema-Struktur bestimmt nach dem Ansatz der »Prager Schule auch den
thematischen Verlauf eines Textes, was als thematische
Progression
bezeichnet wird.
Das Konzept der
thematischen Progression beruht dabei auf der Annahme, dass
Thema und Rhema in einer binären und komplementären
Informationsstruktur aufeinander bezogen sind und sich
diese Struktur von Satz zu Satz in einem Text beobachten und
verfolgen lässt. Allerdings bleibt unklar, "wie diese
thematischen Abfolgen mit der Global-Semantik des Textes
verknüpft sind." (Heinemann/Heinemann
2002, S.72)
Trotzdem gilt,
dass eine bestimmte der Thema-Rhema-Gliederung folgende Reihe
aufeinanderfolgender Sätzen für ▪
Kohäsion an der ▪
Textoberfläche sorgt und damit auch die Herstellung von
inhaltlich-thematischer ▪
Kohärenz fördert.
»František
Daneš (1919-2015) (1970)
unterscheidet verschiedene Grundtypen der thematischen
Progression, die allerdings nur selten in Reinform auftreten,
weil sich die einzelnen Typen nicht nur schwer rekonstruieren
lassen, sondern dazu "die exakte begriffliche Fassung und
Abgrenzung der so verstandenen Thema-Rhema-Strukturen auf
erhebliche Schwierigkeiten stößt." (Heinemann/Heinemann
2002, S.72)
Diese
Grundtypen
sind
Das Rhema (R)
der ersten Aussage wird Thema (T) der zweiten Aussage, das R
der zweiten Aussage wird T der dritten etc. Dabei werden
also verschiedene Themen mit immer neuen thematischen
Einheiten verkoppelt (vgl. (ebd.,
S.71)
Beispiel:
Wir fahren
morgen in Urlaub. Diese Reise haben wir schon im
Frühjahr gebucht. Sie führt uns dieses Jahr nach
Sardinien. Dort werden wir vier Wochen auf einem
Campingplatz an der Westküste verbringen.
Bei einer
Reihenfolge von Sätzen wird das Thema des ersten Satzes mit
immer neuen Rhemastrukturen verknüpft, d. h. in das
eigentliche Thema bleibt konstant und in den nachfolgenden
Sätzen wird es lediglich mit einem anderen Rhema verbunden.
Beispiel:
Architektin
(T1) ist ihr Wunschberuf (R1). Das
Architekturstudium (T2) hatte sie in Freiburg
absolviert (R2). In ihrem Beruf (T3)
ist sie auf nachhaltiges Bauen aus. (R3)
Die Themen
der Einzelsätze werden von einem übergeordneten Thema
("Hyperthema") abgeleitet und über dieses miteinander
verknüpft.
Beispiel:
Konstanz
liegt am Bodensee. Die Einwohnerzahl liegt bei über 84.000
(Stand: Ende 2019). Der Landkreis Konstanz hat keine größere
Stadt. Der Seerhein trennt die Altstadt von den neueren
Stadtgebieten. Über die alte Rheinbrücke erreicht man das
rechtsrheinische Petershausen.
In einem
solchen Fall wird das Rhema eines Satzes in mehrere Themen
zerlegt.
Beispiele:
-
Am Strand
(T1) waren nur zwei Menschen zu sehen (R1
= R1 + R1 ) Eine Frau (T2
= R1) schaute auf ihr Handy (R2).
Ein Mann (T2 = R1) war dabei sich
einzucremen. (R2)
-
Die
beiden Häuser waren zerfallen. Das eine war
offensichtlich unbewohnt. Vor dem anderen parkte ein
vergleichsweise neues Auto.
Bei dieser
Form der thematischen Progression wird ein Glied der
thematischen Kette ausgelassen, das aber aus dem Kontext
leicht ergänzbar ist. Insofern entspricht er auch der ▪
impliziten Wiederaufnahme.
Brinker
(92018, S.48) verdeutlicht diese Art der
thematischen Progression mit der nachfolgenden Satzfolge:
"Hans (T1)
wurde in ein dunkles Zimmer (R1) geführt. Es (T2
= R1) war mit wertvollen Möbeln (R2)
ausgestattet. Die Teppiche (T4) zeigten
leuchtende Farben (R4)."
Wie leicht
zu erkennen ist, springt das Thema ausgehend von R2
(Möbel) ohne Umschweife auf T4 (Teppiche), ohne
dass die thematische Progression abreißt. Das liegt daran,
dass das Thema "Teppiche" aus dem Konzept des Themas
"Zimmer" erschlossen werden kann.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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