▪
Literatur und Stil
▪
Überblick
▪
Rhetorik und Stilistik in der Antike
▪
Stilprinzipien
▪
Ausdruckswerte
▪
Rhetorische Stilmittel: Figuren und Tropen
▪
Stilanalyse im Rahmen der
schulischen Textinterpretation
Wörter, deren
Bedeutung nur von zeitlich begrenzter Dauer sind, stellen ein
besonderes ▪ Stilmittel des
Wortschatzes dar. Zu dieser Gruppe von Wörtern
zählen die Archaismen,
Neologismen, Modewörter und
Anachronismen.
(vgl.
Sowinski (1978, S.241f.;
21999, S.121f.)
Archaismen
Archaismen sind
Wörter, die entweder schon veraltet sind oder dabei sind aus dem
geläufigen Wortschatz zu verschwinden. Meistens hat sich im
Laufe der Zeit ihre Bedeutung verändert oder sie sind durch
Synonyme ersetzt worden (Kopf statt Haupt). Es
kommt auch vor, dass das Wort mit dem, was es einstmals
bezeichnet hat, verschwindet, so wie man dies z. b. bei manchen
untergegangenen Handwerksberufen kennt (der Seifensieder, der
Gerber, der Seiler, etc.)
Vom
Stilwert her
gesehen wirken Archaismen auf zweierlei Weise (vgl.
Sowinski 1978,S.241)
-
Da sie
ungewöhnlich und zugleich auch gekünstelt erscheinen, können
sie eine verfremdende Wirkung entfalten.
-
Sie können
einem Text einen bestimmten historischen Anstrich bzw. ein
bestimmtes historisches Kolorit geben.
Wörter, die im
Laufe der Zeit ungebräuchlich geworden sind, müssen allerdings
nicht für immer verschwunden sein, sondern können z. B. im
Zusammenhang mit aktuellen Trends und Moden auch wiederbelebt
werden. Oft spielen dabei literarische Strömungen eine besondere
Rolle.
So haben
etliche Autorinnen und Autoren der ▪
Literaturepoche der ▪
Romantik (1798-1835) im Rahmen ihrer Verherrlichung des
Mittelalters als der vermeintlich letzten universalen Kultur vor
der Aufklärung in ihren Werken entsprechende, längst
ungebräuchlich gewordene Wörter, aber auch grammatische
Archaismen wie das nachgestellte Adjektivattribut und
wiederbelebt ("bei einem Wirte wundermild" (»Ludwig
Uhland 1787-1862) (vgl.
Sowinski 21999, S.121f..) Aber auch heute werden
Archaismen in der Literatur durchaus verwendet.
Auch im
Kommunikationsbereich der Politik haben Archaismen immer wieder
eine Rolle gespielt und spielen sie bis heute.
So haben sich
die Nationalsozialisten "in Anlehnung an neuromatische
Bestrebungen der Jugendbewegung veralteter Wörter zur
Kennzeichnung von Ämtern und Einheiten (bedient), um dem Regime
eine historische Pseudo-Legitimität zu verschaffen; vgl z. B.
Bann, Gau, Stamm, Schar, Fähnlein, Arbeitsmaid, –wart,
Gefolgschaft, Ostmark u. dgl." (vgl.
Sowinski 1978,S.242)
Um im ▪ Vokabular
des modernen Rechtsextremismus in Deutschland haben
Archaismen bei ihren ▪
Zuschreibungen
moralischer und sozialer Minderwertigkeit, ihren
▪
Idealisierungen
und ▪
Verschwörungstheorien
sowie bei der Verwendung ▪
biologistischer und ▪
sakraler
Kategorien durchaus ihren Platz. Und wenn man die
stilfärbende Bedeutung der ▪
Typographie einbezieht, dann soll die
im rechtsextremen Umfeld verbreitete ▪
Fraktur-Schrift
in einem
entsprechenden Kontext neben anderen Funktionen auch archaisierend wirken. (vgl.
Moennighoff 2009, S.28)
Neologismen
Neologismen sind Neuwörter oder auch Wortneuschöpfungen, die es
bis sie gebildet werden, im Wortschatz einer Sprache noch nicht
gegeben hat. Im Allgemeinen geht man dabei davon aus, dass die
Wortneuschöpfung zwar vielen Sprecherinnen und Sprechern der
Sprachgemeinschaft bekannt und geläufig und damit habitualisiert
ist, aber noch nicht im sprachlichen Lexikon gespeichert
("lexikalisiert") ist, also noch einen gewissen Neuigkeitswert
hat, ehe der Begriff so bekannt ist, dass er darin gespeichert
ist.
Neologismen dienen, textlinguistisch betrachtet, der
Neubenennung, fördern durch ihre syntaktische und/oder
inhaltlich-semantische Bedeutungsverdichtung die sprachliche Ökonomie.
Sie erhöhen ferner die Bildhaftigkeit (Poetizität) und die Expressivität der Sprache.
Außerdem können sie Kontaktzonen zwischen Kulturen sowie
bestimmter stilistischer Niveaus signalisieren und auch als
Signalwörter uverschiedene Diskurse miteinander verbinden (vgl.
Janich
1999/2005, S.105)
Neologismen werden schon seit der Antike als Stilmittel
verwendet. Im politisch-gesellschaftlichen Systemgegensatz
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bis zur
Wiederherstellung der deutschen Einheit spielten sie eine
außerordentlich wichtige Rolle, so dass viele Texte dieser Zeit
sich "bereits von der Wortwahl her den zugrunde liegenden
ideologischen und politischen Bereichen zuordnen lassen". (vgl.
Sowinski 1978,S.245)
Ableitungen, neue Wortzusammensetzungen, neue
Kombination von Sprachelementen |
Übersetzung von Fremdwörtern |
Bedeutungsverlagerungen |
das
neue Wort
-
wird von schon vorhandenem Wortmaterial
abgeleitet (z. B. Leiden-schaft,
von
Phliipp von Zesen (1616-1689)
im 17. Jh. "erfunden")
-
kommt durch
neue Wortzusammensetzungen zustande (Null-Wachstum, Zwei-Grad-Ziel,)
(Neuprägungen)
-
einfach durch die Kombination schon vorhandener
Sprachelemente
|
durch
Übersetzungen von Fremdwörtern (z. B. das englische
sentimental wurde von »Gotthold
Ephraim Lessing (1729-1781) als empfindsam übersetzt); |
durch
Bedeutungsverlagerungen (so wurde der Begriff Zweck,
der ursprünglich bis zum 16. Jahrhundert Nagel
bedeutet hat (diese Bedeutungsvariante gibt es heute
noch in der allerdings etwas ungebräuchlichen Form
"Heftzwecken" (Heftklammern); (Neubedeutungen) |
Da Neologismen häufig
manieristisch wirken, wird der Begriff auch zur Bezeichnung für
gekünstelte Wortneuschöpfungen verwendet.
Die
stilistische Wirkung von Neologismen hängt vom
Kommunikationsbereich und der Kommunikationssituation ab. Im
Wissenschaftsbereich, im Bereich der Technik oder der Werbung
(z. B. durchschnupfsicher (Tempo®), porentief, magenzärtlich, Frischeflirt,
kussfrisch, ....) ist ihre Funktion und Wirkung
dementsprechend eine andere als im Bereich der
Alltagskommunikation oder im Bereich der Literatur. Immer wieder
sollen Neologismen in unterschiedlichen Situationen auch eine
ironische
Wirkung entfalten.
Im Gegensatz
dazu gibt es die so genannten Augenblicksbildungen (auch:
Ad-hoc-Bildungen oder
Okkasionalismen), "die erstmalig oder auch einmalig in einem Text
auftauchen und bei denen noch nicht abzusehen ist, ob sie sich
durchsetzen, also sich zu Neologismen und damit in Richtung
Lexikalisierung weiterentwickeln - oder ob sie auf die Verwendung in
einem singulären Kontext beschränkt bleiben und damit nie den Weg in das
Lexikon finden." (Janich
1999/2005, S.105). Solche oft nur auf den Kontext bezogene Ad-Hoc-Bildungen (z. B. Goethe "feuchtverklärt", Mörike "herbstkräftig")
sind auch in der Literatur (oft in der Lyrik) weit verbreitet
und werden auch als Neologismen bezeichnet.
Modewörter
Modewörter sind Wörter,
die ähnlich wie bei Moden aller Art, nur in einer bestimmten Zeit
beliebt und in der Regel sehr häufig verwendet werden. Dabei haben
offenbar viele Zeiten unterschiedliche Vorlieben für bestimmte Wörter
entwickelt.
Wenn heute
Hinz und Kunz über das Narrativ schwafeln, wie etwa
Matthias Heinze (2016) seinen Kommentar in der Welt
betitelt, dann bringt er damit auch in etwa zum Ausdruck, was
schon
Reiners (1943/1971, S.180) im Zusammenhang mit den
Modewörtern drastisch formuliert hat.
Das Modewort,
so betont Reiners, "ist tot." Er meint damit, dass es durch
seinen allzu übermäßigen Gebrauch als Wortschablone eines
Formeldeutsch "das Wichtigste verloren (hat): das Lebendige,
Bildhafte, Anschauliche" und keine Atmosphäre mehr habe, keine
bestimmten Stimmungen, Gefühle oder Erinnerungen wachrufe. Es
sei, so sein vernichtendes Urteil "eine Schablone, eine leere,
dürre Formel" (ebd.,
S.171) Der von Reiners ausgerufene Kampf gegen Modewörter, die
von den "(Leuten) mechanisch eingesetzt (werden), die ihren Sinn
nicht kennen" (ebd.,
S.174), hat seiner Ansicht nach wichtige psychologische
Argumente auf seiner Seite. "Das Formeldeutsch", so betont er,
"langweilt und verdummt nicht nur den Leser, sondern auch den
Schreiber. Je mehr sich der Mensch an fertige Formeln gewöhnt,
desto mehr erschlafft sein eigenes Denken und Fühlen.
Unversehens gerät er immer wieder in die eingelaufenen
Denkbahnen der allgewohnten Formeln, jede Beobachtung des
Besonderen, jede Empfindung für die Eigenart, jedes Nachdenken
über diese einmalige Wirklichkeit wird unnötig und unmöglich: er
gleitet auf seinen Denkbahnen fort zu dem allgemeinen
Rangierbahnhof nebelhafter Begriffe, wo in einem großen Wirrwarr
mechanisierter Phrasen alles Eigenleben zugrunde geht." (ebd.,
S.174)
Auch wenn
solche Überlegungen als Ganzes heutzutage als gänzlich überholt
gelten können, zeigt die "inflationäre" Verwendung von Wörtern
wie das Narrativ, das als eine Art Wortschablone, "die
das Gemeinte nur ungenau, irreführend oder übertreibend" (Sowinski
1978, S.243) kennzeichnet, auch heute in den unterschiedlichsten
Kommunikationsbereichen "en vogue" ist. Und wer
heutzutage zeitnah sagt oder schreibt, dem geht es wohl
weniger um seine Ausdrucksabsicht, sondern darum, sich selbst
sprachlich als auf der Höhe der Zeit zu präsentieren. (vgl.
ebd.,
S.245) Von wenigen Ausnahme abgesehen hat die präskriptive
Stilistik eines Ludwig Reiners, die sogar zum Führen von "Verrufslisten",
modisch zeitgemäß und als Fremdwort heute gerne als Blacklist
(=schwarze Liste) im Gegensatz zur positiven Whitelist
(=weiße Liste) bezeichnet, auffordert (Reiners
1951/1969, S.80f.) heute ihre einstmals große Anhängerschar
verloren, der "Kampf gegen das Modewort" in der modernen
Stilistik eingestellt und selbst der Begriff Modewort taucht
mitunter nur noch am Rande oder gar nicht mehr auf. (z. B.
Hoffmann
2017,
Sowinski 21999)
Anachronismen
Wörter bzw. Ausdrücke, die
bestimmte Begriffsinhalt in besonders zeitgebundenen Art und
Weise bezeichnen. In einem anderen zeitlichen Kontext werden sie
eigentlich nicht verwendet und wirken insofern zeitwidrig. In
der literarischen Stilistik sind sie hingegen weiterhin ein beliebtes
Stilmittel in
Parodien und Satiren,
wenn es z. B. darum geht, bestimmte Zustände, Einstellungen oder
ein bestimmtes Verhalten zu kritisieren oder "um Parallelen zur
Gegenwart oder einer anderen passenden Zeit herzustellen". (vgl.
Sowinski 21999, S.122) So entstehen
anachronistische Stilwirkungen z. B. dadurch, dass gegen die
Zeitrechnung bzw. –ordnung verstoßen wird, in dem Personen oder
Gegenstände in "falsche", vor ihrer Geburt bzw. Erfindung
liegende zeitliche Kontexte gestellt werden (z. B. "Uhr" in »William
Shakespeares (1564-1616) »Julius
Caesar (1599) (vgl.
Best 2004, S.28f.) – auch »Bertolt
Brecht (1898-1956) macht in seiner Erzählung
"Caesar und sein Legionär" (1942) davon Gebrauch, indem er
"Wörter wie »Aktie«, »Rüstungsbetrieb«, »City«, »Dossier
(verwendet), um dadurch auf ein zeitgeschichtlich relevantes
Ereignis, das »Attentat
auf Hitler am 20.7.1944, anzuspielen." (Sowinski
21999, S.122). Zieht man ferner auch die
Inszenierung eines dramatischen Textes wie z. B. ▪
Friedrich
Schillers (1759-1805) ▪ "Die
Räuber" in Betracht, dann entfalten die Räuber des Stückes,
wenn sie in modernen Uniformen auftreten anachronistische
Stilwirkungen, die überzeitliche Aktualität des Dramas und
seiner Inszenierung betonen (vgl.
Metzler Literaturlexikon 21990, S.12)
▪
Literatur und Stil
▪
Überblick
▪
Rhetorik und Stilistik in der Antike
▪
Stilprinzipien
Ausdruckswerte
▪
Rhetorische Stilmittel: Figuren und Tropen
▪
Stilanalyse im Rahmen der
schulischen Textinterpretation
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.06.2024
|