Nach
Bräuer (2002) basiert
erfolgreiche Portfolio-Arbeit auf einer Reihe von Voraussetzungen, die
wiederum ohne Schaffung einer neuen
Lernkultur kaum zu realisieren
sind. Die für die
schulische Portfolioarbeit wichtigsten 6 Voraussetzungen sind:
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Portfolio-Arbeit muss unter der Prämisse "Lernen als Prozess“
stattfinden.
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Institutionalisierte Leistungsnachweise mit ihrer Ergebnisorientierung
und punktuellen Erfassung von Lernergebnissen dürfen nur eine
untergeordnete Rolle spielen.
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Arbeitsentwürfe gehören unbedingt zum Portfolio.
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Standards für die Selbstevaluation müssen für jede Lernergruppe und
ihre konkreten Lernumstände modifizierbar sein bzw. modifiziert werden.
-
Portfolio-Arbeit muss einen
Brückenschlag zwischen privaten und
öffentlichen Sphären des Lernens ermöglichen.
-
Materialien sollen das
Zusammenwirken von individueller Lernerwelt und
allgemeiner Wissenswelt widerspiegeln.
-
Die Beurteilung des Portfolios sollte berücksichtigen, inwieweit es
gelingt, die privaten Formen der Kommunikation (z. B. Forschungstagebuch)
in öffentlichen Kommunikationsformen ( z. B. Projektbericht) zu
übertragen.
-
Der Lernprozess hat in der privaten wie öffentlichen Form der
Kommunikation der Portfolio-Arbeit den gleichen Stellenwert und Rang wie
das Lernprodukt.
-
Portfolio-Arbeit muss die
Selbstreflexion langfristig mit sinnvollen
und kommunizierbaren Formen ermöglichen.
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Portfolio-Arbeit erschöpft sich nicht im Zusammenstellen der Materialien
für die Mappe (Portfolio), sondern soll als
längerfristige Begleitung
Lern- bzw. Handlungsprozesse vielfältig begleiten (z. B. Tagebuch,
Arbeitsjournal)
-
Reflexionen über den Lernprozess sind im Idealfall inhaltsbezogen (Sie
können z. B. persönliche Eindrücke über eine Lektüre in einem Lesejournal
enthalten) und haben letzten Endes kommunikative Funktion (Sie sollen z.
B. zu einer Buchrezension in der Schülerzeitung befähigen).
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Die Fähigkeit zur Selbstreflexion muss, da es sich um eine komplexe
Anforderung an den Lernenden handelt, regelmäßig geübt und eingefordert
werden. Ihre Kommentierung (peer review) sollte kontinuierlich stattfinden
und als Chance für ein gemeinsames Lernen angesehen werden.
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Portfolio-Arbeit lässt sich am besten mit
fächerübergreifenden
Beratungs- und Koordinationsstellen organisieren.
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Schreib- und Lesezentren, die außerhalb der bestehenden Lerngruppe als
„extra-curriculare Einrichtungen mit peer-Tutorinnen“ ihre Unterstützung
und Beratung anbieten, sind dafür ideal.
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Schulische Schreib- und Lesezentren gewährleisten dabei in
Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der einzelnen Fächer den
interdisziplinären Ansatz und übernehmen die spezielle inhaltliche
Gestaltung und die aufwändige Organisation und Koordination.
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Portfolios können zur
alternativen Leistungsbeurteilung genutzt werden.
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Wegen der subjektiven Einschätzung der Qualität eines Portfolios sollte
mehr als ein Lehrer die Beurteilung vornehmen.
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Portfolio-Beurteilung umfasst in jedem Fall über die Benotung hinaus
eine mündliche (Lehrer-Schüler-Konferenz) oder eine schriftliche
Kommentierung.
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Portfolio-Arbeit ist Teil der
Schulentwicklung und des
Qualitätsmanagements.
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Wenn Portfolios umfassend und kontinuierlich ausgewertet werden, lassen
sich daraus Rückschlüsse auf die Qualität schulischen Lernens ziehen.
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Da Portfolio-Arbeit vielfältige Kooperationen zwischen Lernenden und
Lehrenden fordert, kann auf deren Grundlage die Effizienz schulischen
Lernens hinterfragt und gegebenenfalls verändert werden.
Die weitere Entwicklung der Portfolioarbeit
Portfolioarbeit kann sich als sinnvolle Kombination
von standardisierter und individueller Portfolioarbeit herausstellen, wenn
die von ihr praktizierte reflexive Praxis, die die reine
Wissensvermittlung zugunsten der Entwicklung umfassender
Problemlösungskompetenzen zurückdrängt, dabei beachtet wird.
Soll Portfolioarbeit dazu ihren
Beitrag leisten, muss das Portfoliokonzept unter fünf verschiedenen
Aspekten betrachtet und weiter entwickelt werden. (vgl.
Bräuer 2006,
S.260)
-
Vorgegebene
Portfoliomuster müssen stets zusammen mit den jeweiligen Lernenden der
besonderen Lernsituation angepasst werden. (Adaptionsaspekt)
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Wenn Portfolios,
die von einer Institution vorgegeben werden, ergebnisorientiert angelegt
sind, müssen sie mit prozessorientiertem Lernen, z. B. mit
Projektportfolios, ergänzt werden. (Ergänzungsaspekt)
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Die Motivation
bei der Portfolioarbeit kann letzten Endes nur aus den Arbeitsaufträgen
entstehen, die bewältigt werden müssen. Geht es stattdessen nur um die
Zusammenstellung irgendwelcher Portfoliodokumente, fällt die Motivation
schnell ab. (Motivationsaspekt)
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Portfolioarbeit
sollte in möglichst vielen Bereichen stattfinden, um eine vielfältige
Vernetzung von Inhalten der jeweiligen Ausbildungsbereiche zu
ermöglichen, so dass sie auch weiterverwendet werden können.
(Vernetzungsaspekt)
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Portfolios
sollte auch für die Kommunikation über Unterrichts- und Schulentwicklung
unter Lehrerinnen und Lehrern Verwendung finden. (Reflexionsaspekt)
Zugleich weist Gerd
Bräuer (2006, S. 257)
aber auch
auf die Gefahren hin, die dem gegenwärtigen Trend zur Portfolioarbeit
innewohnen, wenn keine curricularen und institutionellen Veränderungen
stattfinden, die den prozessorientierten Charakter der Portfolioarbeit in
einer noch überwiegend ergebnisorientierten Bildungslandschaft langfristig
sichern.
In eine plakative These gefasst, die in ähnlicher Weise Anfang
der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts formuliert worden ist (Lucas
1992), hält er fest: "Die ursprüngliche Idee des Portfolios (Belanoff/Dickson
1991; Graves/Sunstein 1992; Yancey 1992), Arbeits- und Lernprozesse sich
selbst bewusst zu machen und gleichzeitig für Mitlernende und Lehrende
aufzuzeigen bzw. Arbeitprodukte im Kontext individuellen Handelns vor- und
auszustellen und somit die Grundlage für eine ganzheitliche Bewertung zu
liefern - diese ursprüngliche Idee ist mit der zunehmenden
Institutionalisierung des Portfolios durch die bestehenden, in ihrer
Gesamtheit nach wie vor einseitig ergebnisorientierten Bildungssysteme auf
das äußerste gefährdet". Unter diesem Blickwinkel betrachtet,
läuft der Trend, das ist Bräuer jedenfalls beizupflichten, Gefahr, binnen
weniger Jahre wieder in Vergessenheit zu geraten und die darin geübte
reflexive Praxis als reine Zeitverschwendung abgetan zu werden. (vgl.
ebd.,
S.259)
Gert
Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.01.2024
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