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FAQ: Woher soll ich wissen, was wichtig und was
unwichtig im Text ist?
Der alltagssprachliche Begriffsumfang
Um zu erfassen, was in einem Text steht, war schon immer das
"Lesen mit dem Bleistift" angesagt. Wer sich mit dem Bleistift in
der Hand an die Lektüre eines Textes machte, wollte damit
signalisieren, dass er den Text genau unter die Lupe nehmen wollte.
Was früher in verschiedene Teilhandlungen wie Unterstreichen,
Markieren, Hervorheben, Anbringen oder Hinzufügen von Notizen und/oder Randbemerkungen oder -kommentaren zerlegt war, wird heute alltagssprachlich meistens mit dem
Annotieren als Oberbegriff zusammenbracht. Enger gefasst galt der
Begriff sogar schon für "Das große Fremdwörterbuch" von Duden (3.,
überarb. Aufl., Mannheim ... 2003) als "veraltet" für Auf-,
Einzeichnung, Vermerk. Annotieren, von lat. annotare "aufzeichnen"
bedeutet danach so viel "wie den Inhalt eines Buches o. Ä.
aufzeichnen, erläutern, analysieren" (ebd.) Daneben verwenden
verschiedene Wissenschaften noch besondere »Annotationsbegriffe.
Wenn wir von Annotieren sprechen, dann gehen wir von dem
übergeordneten Begriffsumfang aus, der die oben aufgeführten
unterschiedliche Verfahren und Instrumente umfasst.
Annotieren als Teil von Lesestrategien
Annotieren ist zunächst einmal eine ▪
Lesestrategie oder Teil einer
solchen. Man kann das, was man dabei tut, dem Bereich der ▪
Primärstrategien
zuordnen, wo die unterschiedlichen Handlungen, die beim Annotieren
ausgeführt werden, bei ▪
Wiederholungs-,
▪
Elaborations- und ▪
Organisationsstrategien
eine Rolle spielen.
In der Praxis gibt es fürs Annotieren ▪
verschiedene Ansätze. Da weder die
Art, wie man einen Text annotiert, noch was annotiert wird, bei
allgemeinen Schreibaufgaben festgelegt ist, werden in der Praxis
auch unterschiedliche Ziele beim Annotieren
verfolgt, die
nach Bedarf miteinander kombiniert werden.
Der Schreiber/die Schreiberin kann sich dabei von
unterschiedlichen Fragen leiten lassen wie:
-
Was ist mir beim
Lesen aufgefallen?
-
Was verstehe ich
nicht?
-
Welche Aussagen
finde ich gut?
-
Was missfällt mir
und findet meine Zustimmung nicht?
-
Was ist dem
Autor/der Autorin des Textes wichtig?
-
...
Annotieren ist eine komplexe Schreibaufgabe
Auch wenn das Hinzufügen von Markierungen und Randbemerkungen
aller Art oft als eine mehr oder weniger mechanische Arbeit gesehen
wird, steckt eine komplexe
Schreibaufgabe
dahinter, die meistens in der ▪
Planungsphase
des Schreibprozesses
Teil einer übergeordneten Schreibaufgabe (z. B.
Inhaltsangabe,
Textanalyse,
Texterörterung,
Textinterpretation)
ist.
Als eigenaktive Tätigkeit, das weiß man aus der ▪
Verständlichkeitsforschung, ist das
Annotieren eine ausgezeichnete Methode, um Texte zu verstehen. Texte
mit
schon vorhandenen Markierungen und Hervorhebungen haben dagegen eine
weitaus geringere Wirkung, steuern aber die Aufmerksamkeit.
Annotationen, die funktional auf die inhaltliche Erfassung von
Texten ausgerichtet sind, werden im Allgemeinen in einem
produktorientierten, individuellen Schreibprozess, in dem jede/r für
sich schreibt bzw. annotiert, vorgenommen. Die Schreibaufgabe lässt
sich aber, vor allem beim ▪
digitalen Annotieren, auch kooperativ bewältigen.
Elemente, Formen und Gestaltung sind beim Annotieren grundsätzlich
frei
Für Annotationen und ihre Gestaltung gibt es keine verbindlichen
Regeln, und das ist auch gut so, solange jede/r für sich alleine
schreibt.
Aber auch wenn jede/r annotieren kann, wie er/sie will, kann
man sich die Sache doch erleichtern, wenn
man sich vorher überlegt, was wie annotiert werden soll. Aus diesem
Grund haben werden in diesem Arbeitsbereich auch Vorschläge für das
Annotieren unterschiedlicher
Textsorten
gemacht, z. B. ▪ Annotieren von
kontinuierlichen Sachtexten, ▪
von
literarischen Texten und ▪ diskontinuierlichen Texten.
Anders ist es allerdings, wenn wie beim
▪ digitalen Annotieren kollaborativ vorgegangen wird. Annotieren alle Teammitglieder an der Schreibaufgabe
mit, sollte natürlich kein Chaos entstehen.
Das Annotieren von Wesentlichem - eine komplexe
Aufgabe
Schülerinnen
und Schüler tun sich oft schwerer als man glaubt, mit der
Aufgabe "Wichtiges" in einem Text zu markieren.
Das hat verschiedene
Ursachen. Und selbstverständlich sind ▪
das Wichtige oder das ▪ Wesentliche eines Textes keine objektiven
Texteigenschaften bzw. Eigenschaften bestimmter Textelemente.
Das ist mit dem ▪ Thema nicht
anders.
Das, was wir für wesentlich in
einem Text ansehen, ist nichts anderes als ein intrapsychisches
Konstrukt des jeweiligen Lesers, das sich bei der Rezeption
eines Textes bildet und von zahlreichen Faktoren abhängt.
Textrezeption und Textverstehen sind nämlich, vom Rezipienten her
betrachtet, niemals voraussetzungslos, sondern von seinem individuellen
Verstehenshorizont, seinem
Weltwissen,
Handlungswissen
und vorhandenen
konzeptionelle
Deutungsmuster (vgl.
Linke/Nussbaumer/Portmann
1994, S.228) genauso abhängig, wie von seinen Lese- und Schreiberfahrungen (literale
Prozeduren und Routinen) und
von seinem Wissen über Texte (Textmuster-
und Textsortenwissen,
Textstrukturwissen),
auf die er/sie bei der Rezeption zurückgreift. Objektiv
"richtig" oder "unrichtig" kann es jedenfalls nicht sein, was jemand
in einem Text annotiert.
Solche Vorüberlegungen sind wichtig, weil sie nicht nur den
Schreibprozess umfangreicherer Schreibaufgaben mit seinen Teilhandlungen wie
Annotieren des Textes in das rechte kognitionspsychologische Licht
rücken,
sondern auch Schülerinnen und Schüler auf der Suche nach dem
Wichtigen, Wesentlichen oder Relevanten in einem Text
"psychisch" deutlich entlasten, ohne die ganze Schreibaufgabe
und damit verbundene Schreibziele im
Nebel individueller Beliebigkeit aufzulösen.
Wichtig ist aber immer wieder zur Kenntnis zu nehmen, dass
sich viele Schreiberinnen und Schreiber mit dem Problem,
eigenständig ▪
Relevanzkriterien bei ihrer Textarbeit zu generieren,
überfordert sehen. So zeigen sich oft schon beim Annotieren eine
▪ Reihe gängiger Schreibprobleme. Sie
hängen sehr oft mit ▪
Ungewissheiten und Unsicherheiten hinsichtlich der Relevanz von
Textstellen zusammen.
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FAQ: Woher soll ich wissen, was wichtig und was
unwichtig im Text ist?
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.01.2024
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